„Die Kleidung bin ich los!
Bin ganz nackt. Okey…
Aber ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll.
Das ist doch too much an Freiheit. Geiles Gefühl, Ulrike. Aber definitiv too much Freiheit!“
„Ach komm schon, Paul!
„Das ist klar, dass es sich für dich ungewohnt anfühlt, so völlig nackig im Freien zu sein.
Aber du hast mir hoch und heilig versprochen, dass du in meinen FKK-Verein mitkommst.
Und wenn du dich umguckst; niemand nimmt Notiz von dir. Hier rennen alle nackig rum.“
„Ulrike, kann ich nicht wenigstens ein Höschen tragen?
Was, wenn ich einen Steifen kriege?“
„Na und? Erstens würde man deinen Ständer in einem Höschen ohnehin sehen und zweitens eignet sich hierfür ein Handtuch viel besser, das du locker davorhalten kannst, ohne dass irgendjemand mutmaßt, was dahinter vor sich geht.
Interessiert eh keinen.“
„Ist klar, Ulrike. Besten Dank für deine Direktheit!“
„Paul, du hast gesagt, dass du keine Vorurteile gegenüber der Freikörperkultur hast und dass du es ausprobierst. Mir zuliebe.“
„Und was, wenn mein Chef mich hier FKK machen sieht?“
„Paul, er ist dann auch nackt. Was soll er denn bitte sagen? Auf jetzt, lass uns den herrlichen Tag genießen! Komm, ich zeig dir alles.
Das Schwimmbecken, den Sportplatz, meinen Wohnwagenstellplatz, das Restaurant. Einfach alles!“
Schnell war klar:
Paul machte es richtig Spaß mit seiner Freundin auf dem FKK-Platz zu sein.
Irgendwann hatte er es sogar vergessen, so ganz ohne Kleidung zu sein.
Du fragst dich jetzt vielleicht, warum ich dir diese Story erzähle.
Ganz einfach: Die Freikörperkultur, also viele Dinge textilfrei zu machen, ist eine so wunderbare Art, das Leben zu genießen, mit einem richtig echten Gefühl des Freiseins.
Weil ich will, dass auch du diese Lebensfreude spürst und dich nicht scheust, FKK auszuprobieren – deshalb erzähle ich dir das.
Ich will, dass du dieses „Ich-bin-nackt-na-und“-Gefühl erfährst. Mit einem breiten selbstbewussten Grinsen!
Um dir dabei zu helfen, dass auch du schon bald ungezwungen nackt sein kannst, habe ich diesen Artikel über die Freikörperkultur geschrieben.
Hier wirst du lernen, dass die FKK
– eine lange historische Tradition hat,
– in enger Verbindung mit sportlichen Aktivitäten steht,
– von großer Bedeutung für Gesellschaft und Kultur ist,
– von anderen Formen des Nacktseins unterschieden werden muss.
Das verspreche ich dir:
Nachdem du diesen kurzweiligen Artikel gelesen hast, weißt du nicht nur alles über die Freikörperkultur. Du willst es wahrscheinlich selbst ausprobieren, einfach einmal nackt zu sein!
Speziell für FKK in Freiburg habe ich eine Übersicht für dich zusammengestellt.
Schau da gerne rein. Dort findest du auch einen Link für bundesweite FKK-Möglichkeiten.
Ok, jetzt aber endlich zur Sache.
Zu Beginn liest du dir am besten meine Definition der Freikörperkultur durch:
Mit der sogenannten Freikörperkultur (FKK) ist die Lebensweise von Menschen gemeint, die das Tragen von Kleidung für sich nicht als unbedingte Regel vorsehen. Ausschlaggebend für das Ablegen von Kleidung ist in der FKK das unbefangenere Gefühl der Freiheit in bewusster Wahrnehmung des nackten und von erotischen, geschlechtlichen oder sexuellen Motiven entkoppelten Körpers.
Das also zu Beginn.
Allerdings will ich hier gleich dazusagen, dass wir Menschen keinen Schalter haben, mit dem die Sexualität abgeschaltet werde könnte.
In der Vergangenheit haben die meisten Anhänger der Freikörperkultur allerdings bis zur Selbstverleugnung so getan, als ob es diesen ominösen Schalter gäbe.
Das ist natürlich Quatsch.
Aber was soll’s. Darüber will ich mich jetzt nicht aufregen.
Lies lieber die folgende geschichtliche Zusammenfassung über die FKK-Bewegung und ihre Entwicklung, die ich für dich in 4 Sätzen zusammengefasst habe:
Die Freikörperkultur entstand in Deutschland im Zuge der Industrialisierung am Ende des 19. im Übergang zum 20. Jahrhundert. Insbesondere den Arbeitnehmern, die unter der Enge der verstädterten Arbeits- und Wohnbedingungen litten, bot das Nacktsein Raum für ein freieres Lebensgefühl. Ein anderer Begriff für die FKK, der sich aber nicht durchsetzte, ist Nacktkultur. Neben der FKK etabliert sich derzeit verstärkt der Naturismus, der dem unbefangenen Gefühl des Nacktseins bewusst auch außerhalb der FKK-Vereinsgelände oder der definierten FKK-Bereiche, Raum geben möchte.
Und jetzt steigen wir noch tiefer ein in die Tiefen der textilfreien Lebensfreude:
Einführung in die Freikörperkultur: FKK und Sport
Spiel und Sport ganz unbekleidet? Natürlich! Aber warum denn auch nicht?! Das ist ganz einfach zu erklären:
Im alten Griechenland war es eine Selbstverständlichkeit, unbekleidet Sport zu treiben. In dem Wort Gymnastik steckt das altgriechische Wort γυμνός, sprich: gymnós, zu Deutsch: nackt, unbekleidet. Das heutige Gymnasium hat seinen Namen daher: Ein γυμνάσιον (Gymnasion) war eine Bildungsstätte, in der man sich hauptsächlich in körperlicher Ertüchtigung übte. Dass man dabei nichts anhatte, war den alten Griechen nicht der Rede wert. Die Perspektive war eher umgekehrt: Warum sollte man beim Sport Kleidung oder andere Textilien tragen, wenn sie keinen Nutzen haben und keinen Zweck erfüllen? Um dies nachvollziehen zu können, müssen wir uns vor Augen halten, dass die Menschen der Antike den nackten Menschen begrifflich nicht in einem Maße in ihrer Gedankenwelt verankert hatten, wie wir es heute gewohnt sind. Warum auch: Dem Menschen fehlt im eigentlichen Sinne nichts, wenn er unbekleidet ist. Er ist lediglich ohne Kleidung – und das kann beim Sport durchaus von Vorteil sein. Und so sahen es die Menschen damals auch.
Ein einfacher Vergleich: Hast du, wenn du deine Wohnung verlässt, plötzlich das Gefühl, nackt zu sein? Das Dach über dem Kopf, das Gebäude, in dem du wohnst, hat seine Vorteile, aber deshalb schleppt man es ja nicht bei jeder Gelegenheit mit sich herum. Vielmehr würdest du dich, wenn du deine Wohnung, das Haus nicht auch immer verlassen könntest, unfrei fühlen. Und ganz richtig: Es wäre nun ein Gefängnis. Umgekehrt fühlte sich beispielsweise der Feuerwehrmann sicherlich selbst im bekleideten Zustand nackt, wenn er ohne feuerfesten Anzug und Sauerstoffmaske einen Menschen aus einem brennenden Haus retten müsste. Es ist also nicht einzig und allein fehlende Kleidung, die Menschen nackt machen kann.
Kleiner Exkurs: Kann ich überhaupt „nackt“ sein?
Hey, das musst du jetzt nicht lesen. Du kannst diesen Exkurs auch überspringen und einfach bis zur nächsten Überschrift nach unten scrollen.
Solltest du aber FKK-Historiker oder Philosoph sein,
dann möchte ich die Gelegenheit nutzen, meine These zu untermauern, dass im Lateinischen und Altgriechischen die Wörter nackt, entblößt oder entkleidet (lat./griech. nudus bzw. gymnós) durchaus geläufig waren, jedoch keine Anwendung in Bezug auf den Menschen fanden: Der Mensch der Antike empfand den Menschen nicht als nackt in unserem heutigen Sinne, wenn oder nur weil er keine Kleidung trug. Die folgenden lateinischen Beispiele mit Übersetzung verdeutlichen das:
- Verres fana omnibus donis ornamentisque nudavit (Verr. II 5, 184): Verres stahl aus den Tempeln alle Weihgeschenke und jeglichen Schmuck.
- Nudus sum a propinquis (p. red. Ad Quir. 7(16): Ich bin ohne Verwandte (eben nicht: Ich bin nackt).
- So auch beim Fehlen des Schildes oder der Waffe eines Soldaten: nudo corpore pugnare – ohne Schild/Waffe sein/kämpfen (nicht: mit nacktem Körper kämpfen),
- oder beim Fehlen des Laubes eines Baumes (arbor nuda – Baum ohne Laub),
- sowie wenn etwas oder jemand einer Sache beraubt ist (navis remigio nuda – Schiff ohne Ruder).
Dieser Sprachgebrauch des Wortes nackt im landläufigen Gebrauch stellt den gemeinten Sinn des heute damit Gemeinten in Frage, weil wir in unserer Kultur das Nacktsein lediglich mit der Sichtbarkeit der Genitalien in Verbindung bringen. Das allerdings ist nicht sehr einleuchtend, wenn man die oben stehenden Beispiele bedenkt, dass das Wort das Fehlen einer Sache, die jemandem oder einer Sache gewöhnlich zukommt, bezeichnet. Daher nimmt es nicht Wunder, dass es im klassischen Latein den Ausdruck homo nudus (etwa: nackter Mensch / ein Mensch ohne Kleidung) gar nicht gibt. So ist auch, meinen Nachforschungen nach, die Verbindung des Adjektivs nudus mit dem Substantiv homo nicht überliefert; und zwar darum, so meine These, weil dem Menschen im eigentlichen Sinne des Wortes nudus nicht allein durch die Tatsache etwas fehlt, wenn er keine Kleidung trägt.
Das halte ich für ein Indiz der hier vertretenen These, dass es im Sinne der heutigen Verwendung des Begriffs den von Kleidung entblößten Menschen mit der Annahme, ihm fehle dadurch etwas Wesentliches, gar nicht gibt. Allenfalls denkbar wäre der Ausdruck homo nudus mit der Übersetzung „der einsame Mensch“ oder „der Mensch ohne Gemeinschaft/Gesellschaft“, da der Zweckverband ein nicht wegzudenkender Bestandteil des Menschen darstellt und ein Einzelgänger somit anders ausgedrückt auch als nackt bezeichnet werden könnte.
Wann also bin ich nackt? Gemäß der alltäglichen Erfahrung dann, wenn die Genitalien sichtbar sind. Warum aber, so schließe ich die Frage an, muss ich mich als nackt bezeichnen lassen, sobald meine Genitalien sichtbar sind, bei verdecktem Geschlechtsteil aber nicht? Weshalb führt dieselbe Stofffläche, die mein Geschlechtsteil bedeckt, an anderer Stelle des Körpers zu dem Urteil, dass ich nackt sei? Diese Fragen lassen sich noch prekärer zuspitzen: Warum empfindet man jemanden, der am gesamten Körper, außer an den Geschlechtsteilen, textil bedeckt ist, eher als nackt denn bekleidet? Mit diesen Fragen zeigt sich, dass das Empfinden, nackt zu sein, nichts mit der Größe der Textilfläche, die unseren Körper umgibt, zu tun hat und dass der Begriff des Nacktseins umgangssprachlich unreflektiert ist.
Dies lässt sich auch gut an der Schlagzeile „Renzi kritisiert Verhüllung nackter Statuen“[1] aufweisen. Denn entweder müsste man sagen, dass Statuen immer nackt sind, wobei es keine Rolle spielt, ob sie einen unbekleideten Menschen abbilden oder einen bekleideten, oder sie sind es eben nicht – weil Statuen nun einmal in jedem Falle aus Steinblöcken gehauene Skulpturen sind. An diesem Beispiel offenbart sich einmal mehr die Beziehung der Menschen zu ihren Genitalien, wenn sogar Dinge als nackt bezeichnet bzw. empfunden werden, die es gar nicht sein können. Und das – es sei nochmals eindringlich hervorgehoben – nur deshalb, weil wie im Falle der Statuen Geschlechtsteile abgebildet sind.
[1] Badische Zeitung, Donnerstag, 28.01.2016, S. 5.
Nacktsein ist Freisein
In unserer heutigen Zeit kommt nun im Unterschied zur Antike noch das Bedürfnis nach Freiheit hinzu: Weil das Tragen von Kleidung heute anders als damals die Regel ist, kannst du dich durch das Ablegen deiner Kleidung freier erleben. Dieses Gefühl der textilen Freiheit hatten die alten Griechen sicherlich auch, sie hatten aber ungezwungenere Möglichkeiten des Erlebens und mussten es nicht eigens verteidigen oder rechtfertigen. Jetzt verstehst du sicherlich, dass sich Menschen deshalb in einem FKK-Verein zusammentun, um ohne lästige Hintergedanken, wie sie heute auf gesellschaftlicher Ebene leider bestehen, unbekleidet sportlichen Tätigkeiten nachgehen zu können. Und du kannst es als ein Defizit in unserer Gesellschaft begreifen, dass dieses Bedürfnis nicht insgesamt als ein selbstverständliches zur Geltung kommt. Denn warum sollst du bei warmer Witterung eine Trainingshose oder ein atmungsaktives Trainingsoberteil anhaben, wenn die genannten Textilien den erhofften Transpirationseffekt nicht leisten? Das heißt nicht, dass Funktionsbekleidung generell unnötig ist. Aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir zumindest bei der Beobachtung der gängigen Praxis, sich während des Sports möglichst vieler Kleidungsstücke zu entledigen, zu dem Schluss kommen, dass Textilien an jeder Körperstelle zumindest bei warmer Witterung keinen Sinn machen.
Der Mensch also kann Kleidung nach Bedarf an-, aber auch wieder abzulegen – ein meist übersehener Unterschied gegenüber dem Tier, dem das nicht zu Gebote steht. Nimmst du das nun zusammen mit dem Freiheitsbedürfnis, dann wird Spiel und Sport zu einem echten menschlichen Erlebnis! Und nun wird auch klar, dass Teamgeist und sportliche Fairness mit der Akzeptanz des Menschen als solchem einen noch höheren Stellenwert erhalten. Denn wenn die gegenseitige Respektierung auch auf ästhetischer Ebene Bestand hat, dann ist das (sportliche) Miteinander noch ehrlicher und damit von höherem Wert. Gerade beim Spiel im Team ist Nacktheit ein großartiges Erlebnis. Es verleiht ein ungestörtes Körpergefühl der Freiheit. Natürlich ist es auch etwas Schönes, nackt in der Sonne zu liegen. Aber speziell bei Spiel und Sport und der damit verbundenen Interaktion mit anderen erreicht das Moment der Freiheit seine höchste Qualität – nicht umsonst kommen FKK und Sport (im Verein) häufig zusammen. Denn in beidem finden sich neben der Freiheit auch eine verstärkte Selbstachtung und der Respekt gegenüber anderen.
Für viele sportliche Unternehmungen wie Wanderungen, Nordic Walking, Radtouren oder Jogging sind die Gelände der FKK-Vereine allerdings zu klein. Umso mehr wäre ein selbstbewussterer und unbefangenerer Umgang mit dem Nacktsein in der freien Natur auch von Seiten der FKKler, die das Nacktsein gemeinhin auf das Vereinsgelände beschränken, wünschenswert. Denn auf diese Weise erhielte auch der Naturismus, der nicht mit der FKK-Bewegung gleichzusetzen ist, eine größere Stimme in der Gesellschaft, und der Einzelne hätte vielleicht weniger Hemmungen, selbst einmal die Kleidung bei sich bietender Gelegenheit abzulegen.
Nackte Körperkultur als moralische Normierung?
Die Frage, was Freikörperkultur ist, hat eine weit größere Bedeutung, als ihr auf gesellschaftlicher Ebene gemeinhin zugestanden wird. Tatsächlich tut hier Aufklärung besonders Not, weil das Nacktsein infolge mangelnder öffentlicher Sensibilität, Unwissenheit und unhinterfragter Vorurteile nahezu tabuisiert wird. Eine Klärung des gesellschaftlichen Umgangs mit der Nacktheit wird jedoch zeigen, dass darin im Grunde eine politische Dimension sitzt, die die Freiheits- und Menschenrechte und dabei auch die Menschenwürde betrifft. Dies in der öffentlichen Wahrnehmung ins rechte Licht zu rücken, dürfte freilich keine leichte Aufgabe sein. Zum einen gibt es zu wenig anderen Themen dermaßen verfestigte Vor- und Fehlurteile, die nicht als solche erkannt oder empfunden werden, sondern als selbstverständlich gelten; infrage stellt sie kaum einmal jemand. Zum anderen kommt eine allzu (un-)menschliche Verhaltensweise ins Spiel, die dem philosophischen oder psychologischen Blick gut bekannt ist: Je deutlicher ein gesellschaftliches Fehlverhalten an seinem Ursprung aufgezeigt wird, desto vehementer wird es – so widersinnig und zum eigenen Schaden dies auch ist – verteidigt. Je klarer der Missstand benannt wird, desto weniger darf darüber gesprochen werden. Dieser Zusammenhang besteht nun in unserer momentanen gesellschaftlichen Wirklichkeit besonders in Bezug auf den Umgang mit dem eigenen Körper.
Eine zentrale Schwierigkeit bei dem Vorhaben, der FKK einen besseren Stand in unserer Gesellschaft zu verschaffen, ist es deshalb, bei den Menschen die Bereitschaft zu wecken, sich mit diesem Sachverhalt auseinanderzusetzen. Viele wollen sich durch eine logische, politische oder ethische Argumentation nicht in ihrer gewohnten Haltung beirren lassen, sei es, weil sie sie erst gar nicht nachvollziehen, sei es, dass Ängste, die mit einer Verhaltensänderung einhergehen, eine zu große Rolle spielen. Das gilt übrigens auch für viele Anhänger der Freikörperkultur, wenn sie das Nacktsein ausschließlich hinter blickdichten Zäunen ausleben und es aus Scham vor Freunden, Bekannten oder Kollegen geheim halten.
Warum Nacktheit wichtig für gelebte Werte ist
Die Bedeutung und Problematik dieses Themas erschließt sich also nicht daraus, dass FKKler auf ihren Vereinsgeländen nackt in der Sonne liegen oder nackt Sport treiben. Würde Freikörperkultur nur das umfassen, wäre sie eine rein private Angelegenheit in entsprechenden privaten Räumlichkeiten. Entscheidend ist vielmehr, dass der Mensch sich auf gesellschaftlicher Ebene subtil von ihr angegriffen fühlt, weil er gewohnt ist, sich für sich selbst zu schämen (ähnlich wie etwa dafür, ein sexuelles Lebewesen zu sein)! Zwar findet die organisierte FKK nicht öffentlich unter aller Augen statt, sie wird aber von einem großen Teil der Bevölkerung (heimlich) betrieben. Den Wunsch zum Nacktsein gibt es also, und er ist ein wesentlicher Bestandteil des Menschen. Wie anders ließe sich erklären, dass man gerade dort, wo dieser gesellschaftliche Nerv – die Scham vor dem eigenen Körper – sprichwörtlich durch die Thematisierung der Freikörperkultur entblößt wird, unversehens auf die größte Abwehrhaltung stößt? Wie anders kommt es, dass die Thematik rund um das tatsächliche Nacktsein – nackt in der Natur zu sein, im Park zu spazieren oder auch nur die FKK als Hobby offen anzugeben – nicht gerade eine Selbstverständlichkeit ist?
Die philosophische Analyse zeigt die folgenschwere ethisch-moralische Widersprüchlichkeit, die darin liegt, dass ausgerechnet dort jemandem die Freiheit zu einem (naturistischen) Lebensstil genommen wird, wo sie für die gesellschaftliche Einübung von Toleranz unverzichtbar ist – dass gerade hier die hochgehaltenen Werte der Freiheit, des Respekts und der Toleranz im Keim erstickt werden. Ein erster Grund, warum die Auseinandersetzung mit der FKK wichtig für dich ist, besteht daher in der Achtung deiner selbst und deiner Mitmenschen – und zwar mit Blick darauf, wie du mit der Nacktheit umgehst. Denn du kannst dich nur von der lähmenden Scham befreien, wenn du offen dafür bist und dazu stehst, andere nackt sein zu lassen oder selbst nackt zu sein.
Wie Nacktsein dein Selbstbewusstsein fördert
Es ist ein wunderschöner warmer Tag, und trotzdem gehst du nicht nackt spazieren. Vielleicht ist der Grund nicht, dass du dich etwa für deinen Körper schämst, sondern dass du dich für das schämst, was dir andernfalls unterstellt werden würde. Dir scheinen die in der Öffentlichkeit etablierten Vorurteile gegenüber einer unbekleideten Person und die darauf gründenden moralischen Normen zu stark, als dass du es wagen könntest, diesen Fehl- und Vorurteilen mit gutem Beispiel entgegenzutreten.
Das ist verständlich. Die Folgen allerdings sind irrsinnig und verheerend: Die Scham davor, sich auf gesellschaftlicher Ebene die Freiheit zu nehmen, das Richtige zu tun, führt in der öffentlichen Wahrnehmung zur Pervertierung der Scham – nämlich zur Scham über den eigenen Körper vor sich selbst! Das ist im Allgemeinen ein unbewusster Vorgang, der besonders bei Menschen greift, die sich nicht mit dem Nacktsein befassen. Jemandem, der gerne nackt ist, ist in der Öffentlichkeit nicht anzusehen, dass er sich nicht deshalb bekleidet, weil er sich für sich selbst schämt, sondern weil er verhindern will, gehänselt, gemobbt, lächerlich gemacht oder als Perversling hingestellt zu werden. Aus diesem Grund behauptet sich die Bekleidung in der Gesellschaft als die unhinterfragte Regel. Du solltest dich also mit den Gründen, die für die FKK sprechen, befassen, da sie deine Selbstfindung unterstützen und dein Selbstbewusstsein stärken, indem du dein (körperliches) Selbst nicht mit Scham besetzt.
Warum ein FKK-Verein kein FKK-Palast ist
Jeder von uns erfährt im Laufe der Erziehung und Sozialisation, wie zwischen Nacktsein und Sexualität eine Verbindung konstruiert wird. Es erschwert die Selbstfindung aber grundlegend oder verhindert sie gar, wenn das einfache Nacktsein in der Öffentlichkeit aufgrund dieser Nacktsein-Sex-Kopplung tabuisiert wird. Machst du dir das klar, darfst du nicht vergessen, dass auch die Anhänger der FKK sich meist nicht trauen, öffentlich zuzugeben, dass sie gerne nackt sind, oder außerhalb ihrer Zäune nackt spazieren zu gehen. Auf diese Weise tragen auch sie wie jeder andere Nicht-FKKler dazu bei, dass in der Gesellschaft der Irrglaube an den Zusammenhang von Sex und Nacktsein gefestigt bleibt. Entsprechend verwundert es nicht, dass das eigentliche Potenzial des Nacktseins in der öffentlichen Wahrnehmung nicht so recht durchzudringen vermag.
Resultiert aus der Gleichsetzung von Sex und Nacktsein die Regel, immerzu bekleidet zu sein, knüpft daran auch der Glaube, dass sexuelle Übergriffe in der Öffentlichkeit mittels Bedeckung der Geschlechtsteile verhindert würden. Umso wichtiger ist es zu zeigen, dass hier ein „logischer Fehler“ begangen wird. So befördert die textile Bedeckung die Konditionierung von Nacktsein und sexueller Erregung geradezu durch das gesellschaftlich legitimierte Zugeständnis, nur beim Sex nackt sein zu dürfen. Es mag sich seltsam anhören, zeigt aber, wie das fehlerhafte Bild bzw. das Vorurteil gegenüber dem Wunsch, ohne Sex nackt zu sein, entsteht.
Dabei müsste der Gedanke ernst genommen und unbedingt mit der eigenen Erfahrung überprüft werden, dass bei einer auf gesellschaftlicher Ebene gelebten Freikörperkultur – oder treffender gesagt mit einem gelebten Naturismus – eine solche Konditionierung, insbesondere eine Fokussierung auf die Geschlechtsteile, gar nicht erst entstünde. Die Folge? Sexuell motivierte Übergriffe würden wahrscheinlich viel eher eingedämmt denn begünstigt.
Eines müssen wir uns klarmachen: Beides – Sex und Nacktsein – sind ganz natürliche menschliche Wünsche oder Triebe. Der künstlich herbeigeführte und überzogene Zusammenhang von beidem schafft jedoch sexuelle Begierden auf einem Gebiet, auf dem Raum für die Werte der Freiheit, des Respekts und der Toleranz vorhanden sein sollte – auch gerade der Toleranz, das einfache Nacktsein als eine mögliche Lebensweise einzubeziehen oder anderen zuzugestehen.
Wenn du das beherzigst, kannst du auf jeden Fall deinen moralischen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Auch wenn du selbst nicht nackt sein willst, kannst du andere nackt sein lassen. Damit hilfst du, dass Menschen nicht weiter durch ihr schlichtes Nacktsein, insbesondere aber nicht durch angedeutete oder vorgestellte Nacktheit als Sexobjekt behandelt werden. Gerade diese Sex-Nacktsein-Kopplung ist die Geschäftsgrundlage der Sex- und Pornoindustrie, wie wir sie heute haben.
Das Recht auf Nacktsein kennt kein Schönheitsideal
Ich lasse hier einmal Ralf Sprenger, einen bekennenden Naturisten und Kämpfer für die Sache des Nacktseins, zu Wort kommen:
„Die Frage, was Schönheit ausmacht, lässt sich nicht wirklich beantworten. Es gibt Menschen, die sich in einem nach dem Verständnis vieler Menschen wunderschönen Körper befinden und trotzdem von Selbstzweifeln und Minderwertigkeitskomplexen belastet sind. Andere Menschen wiederum entsprechen nicht dem allgemein als schön definierten Bild, strahlen aber eine solche Kraft und Selbstvertrauen aus, dass sie als sehr schön wahrgenommen werden. Schönheit ist letztlich ein viel komplexerer Zustand, der oftmals aus den Menschen selbst heraus scheint. Und hier vertrete ich einen ganz anderen Ansatz. Ich glaube, man muss sich erst einmal ganz selbst annehmen, damit man so etwas wie Schönheit ausstrahlen kann.
Und in der Psychologie gibt es hier das sogenannte ‚Spiegel-Experiment‘. Da stellt man sich nackt vor den Spiegel und muss sich angucken, man hört in sich hinein und spricht auch ganz klar aus, was man empfindet, wenn man sich nackt betrachtet. Das ist für viele Menschen erst einmal kaum auszuhalten, denn viele von uns sehen sich nur in den negativen Details. Aber das Experiment muss man über einen längeren Zeitraum machen und man muss auch jedes Mal etwas Positives an sich benennen. Und fast immer kann man nach einer gewissen Zeit Frieden mit sich schließen, denn man akzeptiert sich so, wie man ist. Nackt, ohne etwas zu verstecken und ohne sich zu schämen.
Und natürlich bezieht das auch die Erscheinung der Genitalien mit ein. Bei vielen Männern ist speziell der Penis mit ganz vielen Komplexen besetzt. Zu groß, zu klein, zu schmal, zu dick, zu krumm, zu schrumpelig, und, und, und. Frauen stellen sich die gleichen Fragen bezüglich ihrer Brüste, ihres Pos, ihrer Vulva. Anatomisch ist das alles Nonsens, denn in der Regel gibt es beim sexuellen Akt keine Probleme, aber die Probleme entwickeln sich einfach im Kopf. Von diesen Problemen kann man sich nur selbst frei machen und hier sehe ich das größte positive Potential der Aussöhnung mit seinem nackten Selbst.
Wenn man dann auch noch in der Lage ist, sich an einem FKK-Strand oder gar nackt in der freien Natur zu zeigen, dann steht da ein anderer Mensch, ein strahlender, schöner Mensch!“
Ralf Sprenger, 55, Neu-Anspach
Kaum jemand kann ernsthaft leugnen, dass Menschen, die unserem Schönheitsideal entsprechen, mehr Blicke auf sich ziehen als diejenigen, die ihm nicht entsprechen. (Das ist zunächst einmal natürlich und sicherlich nicht an und für sich fragwürdig.) Dabei sollte man sich jedoch bewusst machen, dass es nicht die Geschlechtsteile sind, die dafür ausschlaggebend sind, sondern das Aussehen, die Ästhetik oder insbesondere die von Ralf beschriebene charismatische Ausstrahlung einer Person als Ganzes. Jeder kann sich mit textilen Hilfsmitteln sehr viel intensiver erotisch in Szene setzen, als es ganz ohne Kleidung möglich wäre, und einen sexuellen Reiz können auch schöne Schenkel darstellen (die zu verdecken nun nicht gesellschaftlich vorgeschrieben ist). Widersprüchlich ist deshalb der Glaube, dass Kleidung anzügliche Blicke vermindere: Eine Person in sommerlicher (Bade-)Mode, die Verborgenes reizvoll unterstreicht, fordert es geradezu heraus, visuelle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und doch wird meist davon ausgegangen, dass Kleidung vor sexuellen Übergriffen schütze. Nun ist aber nicht bekannt, dass Textilien in Sportvereinen oder kirchlichen Einrichtungen dies verhindert hätten …
Eine ebenso kritische Rolle spielen Textilien mit Blick auf die Infragestellung oder Instrumentalisierung des körperlichen Erscheinungsbildes eines Menschen. Denn wenn du dich aus ästhetischen Gründen vor deinen Mitmenschen verstecken musst oder sie sich vor dir verstecken oder verhüllen müssen, leidet auch darunter das Menschsein und die Idee der Menschenwürde. Ohne hier die Menschenwürde an sich philosophisch definieren zu wollen, möchte ich doch zur Erläuterung ihrer Bedeutung im Zusammenhang mit dem Nacktseins den Begriff der Autonomie aufgreifen. Dem Philosophen Immanuel Kant zufolge verleiht sie dem Menschen Würde, indem er seine eigene Instanz ist, in der bzw. durch die er sich selbst seine Gesetze gibt (vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten). Welches Fundament aber hat die eigene Instanz, welchen Wert hat sie, wenn der Mensch sich – ob nun aus ästhetischen Gründen oder wegen des Sex-Nacktheits-Konnexes – für sich selbst schämt und sich somit von sich selbst entfremdet? Derart autonom gegebene Gesetze können nur moralisch fehlerhaft sein! Echter „Humanismus ist also“, erlaube mir hier ein Zitat aus meiner kulturphilosophischen Schrift Die Objektität des Bewusstseins, „nicht unbedingt bequem – oder nennen wir es beim Namen: ästhetisch.“ (Die Objektität des Bewusstseins, S. 508).
Bist du (nicht) nackt, bist du (nicht) politisch
Erstaunlich ist doch, wenn wir all dies bedenken, dass das Bedürfnis des Nacktseins nicht einfach ausgelebt wird oder ausgelebt werden kann (sondern vielmehr hinter blickdichte Zäune oder entlegene Waldgebiete verlegt wird), während es doch ein wesentliches Element der menschlichen Existenz ist (schließlich werden wir nackt geboren). Ich möchte aber noch einen Schritt weiter gehen, um dieses Phänomen zu untersuchen. Der Gründer des Zentrums für Politische Schönheit (eine Berliner Künstlergruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, verquere und obszöne Machenschaften der Politik mit provozierenden Aktionen zu entlarven) Philipp Ruch vertritt die These, dass es in totalitären und repressiven Staatssystemen mehr Menschen gebe, die für ihre Überzeugungen einstehen, obwohl sie dabei nicht selten Freiheit und Leben riskieren, als in demokratischen Gesellschaften, obwohl dort diese gravierenden Folgen so in aller Regel nicht bestehen. Eine befriedigende Erklärung habe er für diese Beobachtung allerdings nicht. Nun, das liegt wohl daran, dass Ruch zwar einen radikalen Humanismus im Sinne eines vehementen Einsatzes für Menschenrechte propagiert, bei dem man sich, wie er sagt, mit seinen Überzeugungen hartnäckig aller Repressivität entgegenstellt. Zugleich aber klammert er gerade das blind aus, was den Humanismus und insbesondere einen „radikalen“ (lat. radix – Wurzel) begründet – nämlich den Wunsch vieler Menschen, unbehelligt nackt sein zu dürfen. Die Folge ist wieder dieselbe wie bei allen öffentlichen Diskussionen zur Bekämpfung humanistischer Missstände: Das Problem wird nicht an der Wurzel gepackt, und es wird mehr debattiert als gehandelt. Ich möchte daher versuchen, die genannten Missstände anhand des Bedürfnisses nach öffentlich ausgelebtem Nacktsein, das meist nicht mitgedacht wird, zu erklären – vielleicht ergibt sich daraus eine grundlegende Lösung.
Zunächst ist zu bedenken, dass in repressiven Staatssystemen, in denen Menschenrechte missachtet werden, ein Einsatz gegen unterdrückte Grundbedürfnisse zwingender und damit auch „lohnender“ ist, als es in demokratischen Staatssystemen möglich sein kann. Allerdings finden sich auch hier untragbare Missstände, so beispielsweise im (derzeitigen) Umgang mit Flüchtlingen, die, wie Ruch hervorhebt, für uns in der Europäischen Union keinen menschlichen Wert besäßen. Dies sehe man an den Grenzen und auf dem Seeweg, wo viele ums Leben kämen, obwohl dies mit den Mitteln der EU organisatorisch wie logistisch verhindert werden könnte.
Der Unwille, dies zu tun, und die träge Gleichgültigkeit gegenüber Menschen in Not prangert Ruch zu Recht als untragbare und die Menschenwürde beleidigende Menschenrechtsverletzungen an. Diese Art von Missständen aber – um den bestehenden Gedankengang fortzuführen – wird in unserer demokratischen Ordnung von vielen befriedigten Grundbedürfnissen, wie sie im Grundgesetz festgehalten sind, begleitet. Es liegt auf der Hand, dass der Wille, sich unter den gegebenen Rahmenbedingungen gegen Missstände aufzulehnen, nicht derart brennend ist, dass man als Märtyrer oder Held gegen sie vorzugehen bereit ist. (Ohnehin ist es in einem demokratischen Staat mit entsprechenden Grundrechten viel schwieriger, zu einem Märtyrer zu werden, gibt es doch oft legale Wege, sich auch mit legitimer Unterstützung gegen Missstände zu wenden, ohne dabei wie in repressiven Staatssystemen um sein Leben fürchten zu müssen.) Wie du aber in unserer heutigen Gesellschaft und Kultur zum Helden werden kannst, kannst du hier erfahren.
Du bist mit deinem Körper ein Menschenrecht!
Der Einsatz für den in der Freikörperkultur zum Ausdruck gebrachten Wunsch, nackt zu sein, steht in einer Diktatur verständlicherweise nicht an erster Stelle. In demokratischen Staaten wiederum verschwindet er im Dickicht der unreflektierten Sitten und moralischen Normen, sodass das Unbekleidetsein nicht als ein Recht begriffen wird. In der ehemaligen sogenannten Deutschen Demokratischen Republik (DDR) finden wir den seltenen Fall, wie in einer Mischung von Diktatur und Demokratie das Bedürfnis nach Nacktsein in der Öffentlichkeit zur Entfaltung kam. Die Freikörperkultur in der DDR entwickelte sich trotz der SED-Herrschaft und in ihrem Schatten auf der Grundlage demokratischer Werte. Das heißt, die Achtung vor sich selbst stärkte das kollektive Selbstbewusstsein als Ausdruck von Humanität im Volk und als gleichzeitige Kompensation repressiver Behandlung. Jedenfalls muss das starke Aufkommen des ungezwungenen gemeinschaftlichen Nacktseins in der DDR als nachvollziehbare Folge erscheinen, wenn Grundbedürfnisse des Lebens zwar im Wesentlichen befriedigt, Grundrechte wie Meinungs- oder Glaubensfreiheit, die der Selbstfindung dienen, aber nur scheinbar gelten. Öffentlich demonstrierte Nacktheit gegenüber staatlicher Unterdrückung kann somit als ein Ausdruck von Macht seitens des Volkes gedeutet werden, als etwas, das durch gesellschaftlichen Zusammenhalt zum Mauerfall beigetragen hat.
Umgekehrt lässt diese These erkennen, dass unhaltbare Menschenrechtsverletzungen bereits in der Unterdrückung des Nacktseins beziehungsweise der Verdrängung seiner organisierten Form (FKK) an den gesellschaftlichen Rand ihren Anfang nehmen. Denn solange der Mensch sich für sich selbst schämt und nicht zu seiner eigenen (körperlichen) Menschlichkeit steht, lassen sich Menschenrechtsverletzungen, besonders gegenüber anderen Kulturen, nur schwer verhindern. Sprich: Die Freikörperkultur im Sinne des Ausdrucks natürlichen Nacktseins, also im naturistischen Sinne, müsste stärker in die öffentliche Debatte miteinbezogen werden, wenn es um die Lösung von gesellschaftlichen Problemen geht; Missstände aufzudecken und bloß zu benennen, wird allein nicht genügen. Denn wenn du einmal diese wunderbaren und unbeschreiblich positiven Erfahrungen des bewussten Erlebens von Nacktheit gemacht hast, dann fällt es dir schwer einzusehen, warum es dir verboten sein soll, deine Kleidung abzulegen. Es ist ein gesellschaftspolitisches Versäumnis, das Nacktsein – oder anders ausgedrückt das ganzheitliche Erscheinungsbild seines eigenen Körpers – nicht als ein Menschenrecht zu begreifen.
Wenn du dich für die wissenschaftliche Begründung der Nacktheit als Menschenrecht interessierst, dann kannst du das in meinem Buch Die Objektität des Bewusstseins gerne nachlesen.
Reiße die Zäune nieder, bringe dich zum Leuchten
Die in der ehemaligen DDR praktizierte Regelung, nach der Nacktbaden überall dort, wo es nicht verboten war, erlaubt war, kehrte sich mit der Wiedervereinigung in ihr Gegenteil um: Nun ist Nacktbaden verboten, wenn es nicht ausdrücklich erlaubt ist. Wenngleich in der DDR das Baden sozusagen das Sprungbrett für die gesellschaftliche Legitimierung der FKK war, solltest du die Möglichkeiten des Nacktseins nicht auf solche Anlässe reduzieren. Beim Baden oder Schwimmen ist es lediglich am offensichtlichsten und daher am leichtesten zu vermitteln, dass das gänzliche Unbekleidetsein am meisten Sinn macht. Das Nacktsein darauf zu beschränken wird daher dem Wesen des menschlichen Wunsches, ohne sexuelle Konnotation nackt sein zu wollen, nicht gerecht. Welchen Sinn sollte dies auch machen? Schließlich will die Nacktheit im Freien, in der Weitläufigkeit der Örtlichkeit, im warmen Wind in Sonne und Schatten unmittelbar im direkten Kontakt mit der Natur erfahren werden – ohne die Angst als ständigen Begleiter, dass dich jemand dabei sehen, ja verurteilen, könnte. Eine örtliche enge Bindung an Bademöglichkeiten stellt deshalb eine nicht nachvollziehbare Einschränkung dieser wunderbaren Erlebnisse dar. Wenn das Nacktsein am Wasser kein Problem ist und als freies und schönes Gefühl wertgeschätzt wird, warum sollte es dann fern von Gewässern anders sein?
Dich von der Angst vor eventuellen Passanten, die dein Nacktsein nicht tolerieren, zu befreien, enthält zwei Komponenten. Zum einen kannst du dich, wenn diese Angst besteht, offensichtlich nicht einfach fallen lassen in dem Moment, in dem du die Natur oder schlicht dein Nacktsein genießen willst, wo auch immer du sein magst. Zum anderen, und das ist weniger offensichtlich, zugleich aber wichtiger, vervollständigt es erst dein (Natur-)Erlebnis, wenn du dabei gesehen wirst. Das mag zunächst seltsam klingen, und doch: Du bist darauf angewiesen, dir darüber bewusst zu sein, dass du gesehen wirst. Ja, du musst es sogar wollen, müsstest du dir doch sonst eingestehen, nur dann gerne nackt sein zu wollen, wenn dich keiner sieht. Das aber kann nicht dein Ziel sein, wenn es dir wirklich darum geht, als Mensch dein Recht auf unbescholtene Nacktheit wahrzunehmen. Letzteres verlangt, dass dein Wunsch nach dem Recht auf Nacktheit auch sichtbar wird bzw. wahrgenommen werden kann. Was nur im Verborgenen praktiziert wird, kann keinen fruchtbaren Diskurs in Gang setzen.
Sich als Nacktwanderer bei Begegnungen schnell zu verstecken, ist also mehr als kontraproduktiv, impliziert es doch, dass man etwas Unrechtes tut; mit einem solchen Verhalten rückt man sich sofort selbst in die Nähe der sexuell implizierter Nacktheit, und man setzt sich dem Verdacht aus, ein Exhibitionist zu sein. Stehe zu deiner Entscheidung, achtsame, nackte Erfahrungen in der Natur zu erleben, und begegne deinen Mitmenschen mit Offenheit und Freundlichkeit. Damit wirbst du am besten für natürliche Nacktheit.
Hast du noch Fragen zu diesem sensiblen Aspekt, dass du gesehen werden, nicht aber in die Nähe des Exhibitionismus geraten willst? Bruno aus Münster, ein erfahrener FKKler, hat sich mit dem Aspekt des „Gesehen-werden-Wollens“ auseinandergesetzt und mir dazu Folgendes geschrieben:
„Hallo Uli, (…) [w]enn ich mir das Leben auf einem Vereinsgelände vor Augen führe, erschließt sich mir der Sinn Deiner Betrachtung nicht, weil ich mir dort keine Gedanken darüber mache, dass ich nackt bin – das ist ja der Normalzustand.
Nun bin ich (…) zum ersten Mal mit einer Gruppe nichtvereinsgebundener Naturisten nackt gewandert. Das heißt, ich konnte die Natur außerhalb einer Vereins-Umzäunung nackt genießen. Es war für mich ein neues, intensives und schönes Erlebnis.
Darüber habe ich dann auch in ‚FKK‘ [FreiKörperKultur, Verbandszeitschrift des DFK] berichtet, um meine positive Erfahrung weiterzugeben. Damals war das Nacktwandern noch eine Angelegenheit, welcher der DFK recht reserviert gegenüberstand. Erfreulicherweise hatte Michaela trotzdem meinen Bericht in ‚FKK‘ veröffentlicht. Heute ist Nacktwandern im DFK ein ganz normales Thema, es wurde schon mehrfach darüber berichtet.
Nun zum Kernpunkt meiner Frage: Wenn ich alleine nackt wandere, möchte ich eigentlich niemanden begegnen. In einer Gruppe von Nacktwanderern dagegen sind mir Begegnungen mit ‚Textilträgern‘ ziemlich egal.
Ich verstehe noch nicht, was Du mit der Formulierung ‚gesehen werden wollen‘ meinst. Viele Grüße, Bruno“
„Hallo Bruno,
(…) Wenn du unbekleidet im Wald spazierst, willst du niemandem begegnen. Das kann ich nachvollziehen. Denn dies bedeutet, dass du dich nicht ‚zeigen‘ willst. Du willst aber wahrscheinlich bei deinen Spaziergängen/Wanderungen auch nicht ständig befürchten müssen, dass hinter der nächsten Kurve jemand kommt und du dich schnell verstecken musst. Das meine ich mit gesehen werden wollen: nämlich als Mensch, egal ob bekleidet oder unbekleidet! Das ist nun jedoch in unserer Gesellschaft nicht ohne weiteres möglich. Darüber möchte ich aufklären.
Viele Grüße, Uli“
„Hallo Uli,
vielen Dank für Deine Betrachtungen. Ich verstehe jetzt Deine Formulierung ‚gesehen werden wollen‘ so, dass ich es bei meiner Nacktwanderung bewusst akzeptiere, dass ich bei einer Begegnung mit bekleideten Menschen als Nackter gesehen werde. Es wäre ja auch inkonsequent (man könnte es auch feige nennen), wenn ich mich verstecken oder schnell etwas überziehen würde.
Es macht allerdings einen Unterschied, ob ich in Gemeinschaft nackt wandere oder alleine durch die Landschaft laufe. In Gemeinschaft bleibe ich ganz entspannt, alleine aber steigt bei Begegnungen dann doch mein Blutdruck.
So habe ich wohl Deine Formulierung ‚gesehen werden wollen‘ richtig verstanden.
Viele sonnige Grüße nach Freiburg von Bruno aus Münster“
Mein Fazit zur Bedeutung der in der FKK gelebten Nacktheit für dich
Die bedingungslose Akzeptanz der ästhetischen Erscheinung des eigenen Körpers hat eine politische Dimension und spielt in den Bereich der Menschenrechte hinein. Wenn du nackt bist, musst du den ästhetischen Vorstellungen anderer nicht entsprechen oder dem vorherrschenden Schönheitsideal hinterherlaufen. Deine Motivation zur körperlichen wie seelischen Selbstpflege darfst du auf der Grundlage deines Bekenntnisses zur Nacktheit gründen lassen. Spiel, Sport und Spaß gehören hier genauso dazu wie Erholung und Entspannung. Ob du das nun bekleidet tust oder nicht, sollte einzig und allein deine Entscheidung sein.
In der philosophischen Analyse muss die organisierte Freikörperkultur, streng genommen, infrage gestellt werden. Das liegt daran, dass der Mensch weder zum permanenten Tragen von Kleidung noch zum permanenten Nacktsein geschaffen ist. Wieso, so kannst du dich philosophisch stringent fragen, sollte es dann verschiedene Bereiche für das Nacktsein und das Bekleidetsein geben? Sicherlich gibt es Orte, and denen es unangebracht ist, nackt zu sein, ganz so wie es Orte gibt, an denen es unangebracht ist, ein Eis zu essen. In allen anderen Fällen aber sollte das Tragen von Kleidung die Entscheidung jedes Einzelnen selbst sein, ganz egal, wo er sich befindet. Dann aber macht die FKK in speziell dafür vorgesehenen Bereichen keinen Sinn mehr; die Freikörperkultur wäre eine freie Körperkultur.
Die Bedeutung der Freikörperkultur für Gesellschaft und Politik liegt darin, dass sie vor dem Hintergrund ihrer geschichtlichen Entwicklung im Zuge der Industrialisierung eine Antwort auf die Arbeitsbedingungen und die Enge in den Städten war. Sie liegt weniger in ihrem Aufkommen als Brauchtum, da es nicht diese organisierte, meist in Vereinen gepflegte Form des Nacktseins ist, die einen wichtigen moralischen und politischen Beitrag leistet. Nein, es ist der Wunsch, nackt zu sein, als solcher, anders ausgedrückt das Beherzigen der Akzeptanz und die Berücksichtigung dieses Wunsches im öffentlichen Diskurs. Aus diesem Grund greift die Freikörperkultur in der derzeit gelebten Tradition und Ausübung zu kurz, um auf gesellschaftlicher und politischer Ebene moralische Gewinne erzielen zu können. Sie ist aber ein Beleg dafür, dass die Nacktheit ein menschliches Bedürfnis ist.
Die gegenwärtige Freikörperkultur bedarf einer grundlegenden Weiterentwicklung. In scharfer Abgrenzung zur FKK steht der Naturismus. Dessen Anhänger möchten ihren Wunsch, (in der Natur) nackt zu sein, nicht auf für die Nacktheit ausgewiesene oder für die FKK deklarierte Stellen beschränken.
Nun fragst du dich, ob man nackt zu sein auch lernen kann.
Deshalb noch eine Überschrift:
Kann man das Nacktsein lernen?
Ja! Und ich unterstütze dich sehr gerne dabei, endlich frei und nackt zu sein.
Du bist noch nicht gaaanz so weit, offen dazu zu stehen, dass du gerne nackt bist?
Bonus: Gleichberechtigung mit „Oben ohne“ für alle?
Burkini, Bikini, Badehose: Wie sieht Freiheit und Toleranz (im Schwimmbad) aus?
In vielen Städten dürfen Frauen inzwischen – wie der Mann – mit nackter Brust ins Schwimmbad. Spielen die primären (!) Geschlechtsunterschiede für die Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann nun endlich keine Rolle mehr? Denn bei der weiblichen Brust handelt es sich, anders als gemeinhin deklariert, nicht um ein sekundäres Geschlechtsmerkmal. Sie hat ihre ganz spezifische Funktion im Milcheinschuss als Mittel zum Zweck des Stillens und hängt somit untrennbar mit dem zusammen, was wir als „weiblich“ bezeichnen. Diese Art von Brüsten können „nicht-weibliche“ Menschen definitionsgemäß nicht haben. Sekundäre Geschlechtsmerkmale, wie Bartwuchs oder Gesichtszüge, können hingegen durchaus bei allen Menschen in Erscheinung treten.
In meinem Blogbeitrag „Gymnophobie überwinden“ erfährst du, warum die Akzeptanz von Nacktheit für unsere Gesellschaft wichtig ist. Die „Oben ohne“-Diskussion ist hier gewiss ein Fortschritt!
Doch du schaust genauer hin: Wenn der Unterschied zwischen der weiblichen und der männlichen Brust kein Kriterium für das gleiche Tun der jeweiligen Geschlechter mehr sein soll, warum dann aber der Unterschied zwischen der weiblichen Vulva und dem männlichen Penis? Rasch wird man dir antworten: „Weil der Mann gemeinhin unten herum etwas anhat, darf die Frau hier ebenfalls nichts ausziehen!“
Ist dieser Gedanke schlüssig? Genauso gut ließe sich fordern, dass der Mann – wie die Frau – nur mit Bikini oder Badeanzug oder gar nur mit Burkini ins Schwimmbad darf! Wie ist es also um die Frage der gemutmaßten Bedeutungslosigkeit der primärgeschlechtlichen Unterschiede bestellt (denn dass es sich bei weiblichen Brüsten nicht um sekundäre Merkmale handelt, wissen wir nun)? Tatsächlich bedarf es einer Fortführung der „Oben ohne“-Debatte: Sind die geschlechtlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau „oben herum“ kein Grund mehr für eine Ungleichbehandlung, dann muss das auch für „unten“ gelten. Das heißt: Tatsächliche Gleichberechtigung und -behandlung von Frau und Mann kann es nur geben, wenn jeder Mensch, egal welchen Geschlechts, sich nicht qua seiner genitalen Unterschiede vor dem jeweils anderen Geschlecht schämen muss.
Wird das aber nicht zugestanden, dann ist nicht einzusehen, warum die Frau sich mit dem Weglassen des Bikinioberteils dem Mann angleichen darf und nicht umgekehrt der Mann wie die Frau seine Brust zu bedecken hat – schließlich bleibt die Badehose ja auch an!
In meiner Auseinandersetzung mit der Gymnophobie findest du weitere Gedanken zu dieser Frage. Dort erhältst du einen tieferen Einblick in die Gründe, warum wir es nicht schaffen, den strukturell verwurzelten Sexismus in unserer Gesellschaft und Kultur zu überwinden.
Freiheit, Respekt und Toleranz sind Wertvorstellungen, die es zu verteidigen gilt. Doch wenn wir genau hinschauen, leben wir sie nicht konsequent. Besonders in der öffentlichen Diskussion wird dies gerne übersehen. So ist es meiner Meinung nach ein unbedachter logischer Fehler, zwar eine ablehnende Haltung gegenüber Burkinis zu haben, gegenüber Badehosen oder Bikinis aber nicht. Das ist nicht haltbar, wenn es uns wirklich um die Gleichberechtigung aller Menschen geht. Hier wird einseitig etwas verurteilt, was man in der eigenen Kultur auf einer anderen Ebene selbst vollzieht: die Bedeckung sogenannter Schamteile aus Gründen der sexuell-kulturellen Sitten und Normen. Das kann nicht überzeugen! Ethisch und argumentatorisch nachvollziehbar und damit authentisch kann nur sein, wenn alle so baden dürfen, wie sie wollen – mit Burkini, Bikini oder gar keiner Badebekleidung –, solange alle sich an die notwendigen (hygienischen) Regeln halten!
Wichtig wären deshalb Auseinandersetzungen, inwieweit Sitten, Bräuche und Normen – auch der eigenen Kultur – mit moralischen Grundwerten wie Freiheit, Respekt und Toleranz konfligieren. So zeigt sich, dass in den öffentlichen Diskussionen um fremde Einflüsse oft die Duldung von (Bade-)Regelverstößen und falsch verstandener Toleranz durcheinandergewürfelt werden. Ein Verbot des Burkini ist nur ein vermeintlicher Aufhänger, wenn es eigentlich um die Hygiene beim Baden gehen sollte. Man sollte sich also bewusst machen, dass es die aus gutem Grund aufgestellte Baderegel ist, die es hier einzuhalten gilt, wenn alle in sauberem Wasser schwimmen wollen. Burkini tragende (und alle anderen) Badegäste stünden somit in der Pflicht, diese Regel einzuhalten. Dieser Sachverhalt ist aber zu wenig präsent, als dass er gesamtgesellschaftlich zum Tragen kommen könnte.
Befreie dich von Zwängen und Ängsten, lebe voller Überzeugung deinen (nackten) Weg und wachse an der Kraft, die dir ein schambefreites Leben geben kann. Leuchte und strahle, werde zu einem glücklichen, selbstbewussten Menschen!
Hallo Uli und Bruno,
ich bin oft alleine unterwegs. Und oft hatte ich nette Unterhaltungen.
Ein Beispiel: Ich war nackt im Stadtwald unterwegs. Auf einer Bank saßen zwei Männer und eine Frau. Wir haben uns begrüßt und dann musste ich die gesammelten Kräuter durchprobieren.
Wir haben uns so verhalten, als wäre ich bekleidet und fanden meine Nacktheit in Ordnung.
Bei mir stellt sich dann ein Glücksgefühl ein. Man wird als Nacktwanderer anerkannt.
Fazit solcher Begegnungen: es macht Mut, man wird nicht mehr so schnell nervös wenn man Leute sieht, man ist lockerer beim Wandern und kann die Natur besser genießen.
Gruß
Michael
Hallo.
Ja ich möchte gern nackt unterwegs sein, aber ich kann jederzeit angezeigt werden und mit einem hohen Ordnungsgeld belegt werden von daher frage ich mich wie das gehen soll.
Freundliche Grüße
Thomas