Eine Kritik zur Sendung „Nackt! Warum blanke Haut noch immer tabu ist“ ZDF, aspekte vom 11.04.2025 (abrufbar in der Mediathek)
In diesem Blogartikel wirst du sehen, warum es gar nicht so ein großes Tabu ist, einfach mal nackt herumzulaufen, in aller Öffentlichkeit; es nicht zu können, ist vielmehr ein haltloser Glaubenssatz.
- Überfliege den Artikel nicht, er liefert dir ein wertvolles philosophisches Verständnis, was Nacktheit überhaupt ist; und: du wirst an einem Punkt überrascht darüber sein.
- Der Artikel fällt auch in das Gebiet der Sprache, denn die floskelhafte Rede von der nackten oder blanken Haut ist oft unreflektiert, mit vielen Irrungen und Wirrungen.
ZDF, aspekte: Blanke Haut ist noch immer ein Tabu
So ist es im Titel der Sendung zu lesen, dass blanke Haut immer noch ein Tabu sei, und zu Beginn wird behauptet, dass Nacktheit für die einen absolute Befreiung, für andere pure Provokation sei; dabei sei es paradox, dass Nacktheit überall sei, etwa in der Kunst oder im Netz, während wir auf der anderen Seite eine neue Form der Prüderie erlebten, was sich beim mangelnden Nachwuchs der FKK-Bewegung zeige.
Ok, da möchte ich genauer hinschauen, ob das so stimmig ist. Denn das ist alles Humbug!!
Warum? Das gehe ich im Folgenden gerne durch.
Vorneweg gesagt: Ich finde Sendungen gut, die sich dem Thema Nacktheit annehmen. Natürlich schafft jeder seriöse Beitrag über die Nacktheit ein Bewusstsein zu ihr, fördert den öffentlichen Diskurs, bringt Bewegung in die Anliegen nackt lebender Menschen, schafft mehr Akzeptanz. Das ist großartig!
> > > Siehe dir hier die Sendung an
Das heißt aber nicht, dass solche Sendungen blindlings und euphorisch zu loben sind. Konstruktive Kritik ist immer gut. Schön ist jedenfalls, dass sich das ZDF mit dieser aspekte-Sendung einen „kleinen Tabubrecher“ geleistet hat und größtenteils auf Verpixelung verzichtete. Aber dass man sich diesen Tabubrecher am späten Abend leistete, ist wohl kein Zufall…
Also auf: Nacktheit ist ein Tabu; aber nur im Rahmen einer tief philosophischen Abhandlung, in der ich herausarbeite, dass die Akzeptanz der Nacktheit eine Relevanz in sich trägt, die Herausforderungen unserer Zeit erfolgreich in Angriff zu nehmen. In diesem Sinne meine ich, dass die Nacktheit und das Nacktsein ein Tabu ist, sogar ein sehr starkes: Denn es gibt keinen öffentlichen Diskurs dazu, keine Talkshows, keine Interviews, keine Artikel, keine Befragungen, keine Analysen oder Studien, keine YouTube-Videos, keine Beiträge in Sendungsformaten wie ZDF-aspekte… Man denkt nicht daran, dass der gesellschaftliche Umgang mit der Nacktheit eine Rolle spielen könnte, wenn es um so große Fragen und Umbrüche wie Kriege, Klimawandel und Krisen zu tun ist; es ist ein blinder Fleck, komme ich darauf zu sprechen, wird geschwiegen oder gelacht…, zu lächerlich ist die Vorstellung, die Nacktheit könne hier irgendwie Abhilfe schaffen.
Die Frage ist, ob blanke Haut ein Tabu ist, wie es im Titel zur Sendung aspekte heißt.
Sie ist es nicht, wie die Sendung selbst beweist, wenn sie nackte Menschen ganz ohne oder in knapper Bademode zeigt. Das aber ist eher ein gängiges Paradoxon.
Ich gehe direkt auf die behauptete blanke Haut ein, die ein Tabu sei. Gemeint ist damit wohl die Haut, die bar aller Textilien ist. Zu sehen ist diese sogenannte blanke Haut im Grunde immer, in Gesichtern, Hälsen, Dekolletés und Händen. Sie soll ein Tabu sein!?
Ich weiß, dass sei doch nicht gemeint. Wirklich? Blanke Haut ist, zu fünfundneunzig Prozent oder mehr zu sehen, bei Menschen, die in Badebekleidung sind; der Behauptung nach müsste das ein Tabu sein, derart in Erscheinung zu treten. Ist es aber nicht. Oder sind mit blanker Haut etwa die Genitalien gemeint, die Vulva und der Penis? Ein Schelm, wer dabei…
Die zentrale Aussage in aspekte: „Nackt: Warum blanke Haut noch immer Tabu ist“ stellt sich als falsch heraus.
Warum also diese allegorische Rede der blanken Haut, wenn es die Genitalien sind, die das gemeinte Tabu bezeugen, wenn sie die eigentlichen Gründe sind, die die Nacktheit zum Tabu machen? Aufgepasst: Die Nacktheit als solche ist gar nicht das behauptete Tabu,
– Nacktheit kann durchaus mit teilweiser textiler Bedeckung des Körpers festgestellt werden, wie etwa beim Nacktwandern mit Schuhen, Socken und Cappy, beim Nacktschwimmen mit Badekappe, aber eben auch: beim Nacktschwimmen mit Badehose oder Stringtanga –
es sind die Genitalien.
Es sind die Genitalien die die Rede von der tabuisierten Nacktheit generieren (Achtung, in sich verflochtener Wortsinn!).
Die Offenheit zum Irgendwie hilft, das vermeintliche Nackttabu zu überwinden
Wo also ist das Tabu?!! Dass dieses nicht eindeutig definiert worden ist, ist die große Schwäche des aspekte-Beitrags.
Es ist nicht die Nacktheit, wie im Beitrag selbst, aber unreflektiert, gesagt wird: sie sei überall! Es ist nicht die blanke Haut; wir sind es gewohnt jede genital- oder anusfreie Stelle des Körpers zensurfrei zu sehen zu bekommen, was aspekte sogleich unterbewusst demonstriert: gepixelt ist der Penis des Mannes, der zu sehen ist, während von dem Paradoxon der allgegenwärtigen Nacktheit gegenüber der neuen Prüderie die Rede ist (siehe Minute 00:38, quod erat demonstrandum). Dass im nächsten Bild ungepixelte Genitalien zu sehen sind, widerlegt diesen Sachverhalt nicht, denn wären es die blanke Haut oder die Nacktheit, dann müssten etwa Unterarme oder Axelhöhlen gepixelt werden; oder Schulterblätter (die, hätten sie eine Warze, als weibliche Brust interpretiert werden könnten).
Interessant ist die Fotomontage mit den beiden Frauen, die im Beitrag zu sehen sind (Minute 00:50). Ihre Brüste wurden mit männlichen ersetzt. Noch interessanter ist: Konzentriere dich auf sie, dann erhalten sie weibliche Züge!
Irgendwie komisch, oder! Nein, das Phänomen ist bekannt. Das hier entscheidende ist, dass wir in einer sexistischen Kultur leben, in der wir uns unterbewusst von diesem Phänomen bestimmen lassen; nackt ist, was nackt gemacht wird.
Nackt darf der Schauspieler in der Theateraufführung sein, nicht aber beim privaten Spaziergang durch den Stadtpark; nackt darf der Künstler seine Gestalten im öffentlichen Raum darstellen, sie aber nicht selbst nackt im Stadtpark zeichnen. Merkst du was? Das Adjektiv nackt in den jeweils ersteren Sätze lässt sich auch prädikativ verstehen, wenngleich es ohne sprachliche Notwendigkeit geschieht, dass dies gewöhnlich unterbleibt.
Im Beitrag zur Nacktheit in aspekte fehlen die Aspekte der Moral, der Ethik und des Rechts; insbesondere diejenigen zwischen der Kunstfreiheit und der leiblichen Freiheit. Warum gilt es gemeinhin, dass ein nudales Kunstobjekt toleriert werden muss (diese Kunstobjekte sind überall, selbst im Kanzleramt steht eines), – indessen: der leibliche, lebende Mensch aber nicht?
Erinnert sei auch an die Kampagne des Bundespresseamtes, in der auf typisch Deutsches aufmerksam gemacht wurde. So fand darin auch ein Motiv von Nackten am Strand seine Platz – Nacktheit, kann also kein Tabu sein!

Skulpturen nackt dargestellter Menschen dürfen im Park stehen, nackte Menschen aber nicht.



Irgendwie muss dieser Unsinn doch überwunden werden können, irgendwie muss bei den Thematisierungen der Nacktheit wie in aspekte transportiert werden, dass die Nacktheit nicht nur zum Menschen als Abstraktum gehört (Sapere aude!), sondern zum Menschen, wie und während er lebt (Nudare aude!). Das ist es, was ich irgendwie zur Bewusstheit werden lassen möchte.
Unter Nackten fühlen sich laut statista 16.600.000 der über 18-jährigen Menschen in Deutschland wohl. Warum fehlt dieser Aspekt im aspekte-Beitrag? In der Anmoderation zur Sendung in der Mediathek heißt es stattdessen, dass junge Menschen sich zunehmend unsicher mit ihrem Körper fühlten und keine Lust darauf hätten, ihn unverhüllt zu zeigen. Unsinn, das ist es nicht, ihren Körper zeigen sie, die allermeisten: im Badeanzug, im Bikini, in der Badehose, im Handballtrikot, im Minirock, in der engen Leggins… Nackt, bist du nicht nur unter textilbefreiten Bedingungen, Speckröllchen sind auch unter T-Shirts sichtbar!
Dieser ewig vorgebrachte Grund für die Körperscham und die vermeintliche Vermeidung von Nacktheit bringt uns also nicht weiter, ist realitätsfern und lenkt vom eigentlichen Grund ab: von den Genitalien, die unterbewusst als willkommener und sprichwörtlich unsichtbarer Grund dazu instrumentalisiert werden, den eigenen Unsicherheiten im Umgang mit dem eigenen Körper aus dem Weg gehen zu können; ach wie schön nützlich ist doch das Feigenblatt!
Leider geht es weiter: In der Anmoderation ist zu lesen, dass die allgegenwärtige Nacktheit uns nicht zu schocken vermag, wenn sie wie im Katalog daherkäme. Wirklich? Wenn damit die Bikini-Nacktheit gemeint ist, wie sie auch im Beitrag gezeigt wird (Minute 00:31), dann ist das der elende unbedachte Witz, der immer wieder erzählt wird: „Nacktheit ist überall!“; man meint und liest ihn ernst, und redet über Körperscham, ohne dabei zu bemerken, damit die genitale Nacktheit durch die Hintertür wieder in ihr FKK-Gehege zu schleusen. Was anderes kann es sein, wenn in einem Atemzug mit der Nacktheit das Ergebnis einer Umfrage vorgebracht wird, dass 43 Prozent der unter 30jährigen Personen der Meinung waren, dass mehrgewichtige Personen sich nicht in Bikini und Badehosen zeigen sollten. Was hat das mit der tabuisierten Nacktheit zu tun, die aspekte zur Titelfrage erhoben hat?
Vielmehr wirft das weitere Fragen auf:
- Wollen die Befragten im Grunde überhaupt keine mehrgewichtigen Personen sehen?
- Sagen sie das bewusst mit dem Wissen, dass sie diesen Menschen mit ihrer Meinung den Besuch eines öffentlichen Schwimmbades im Grunde auch verwehren würden?
- Wissen sie, dass sie gemäß ihrer Meinung gar nichts gegen die potentielle Nacktheit dieser Menschen haben, die sie nicht sehen möchten, da ihre Mehrgewichtigkeit, nicht ihre Genitalien der vorgegebene Grund ist?
- Ist ihnen klar, dass sie bei Menschen, die ihrem ästhetischen Empfinden entsprechen, auch nichts gegen das (genitale) Nacktsein haben: Denn Nacktheit fängt, wie dargelegt, vor der Sichtbarkeit von Vulva und Penis an, zudem die Genitalien meist nicht als Hinderungsgrund angegeben werden, dass sich jemand nicht „nackt“ zeigen dürfe.
Offenbar ist die Nacktheit und das Speckröllchen auch mit textil verhülltem Genital gegeben, das behauptete Tabu aber offensichtlich nicht.
Oder ist man irgendwie nicht bereit zu dieser Einsicht…?!
Ja, ja, die Figur… – als ob allein sie der Grund für die Scham wäre.
Fazit: Nacktheit im öffentlichen Raum ist kein Tabu
In der Sendung aspekte wurde das Thema Nacktheit mit der Mechanik einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung behandelt, indem der Glaubenssatz „Nacktheit ist ein Tabu“ unreflektiert und begrifflich undefiniert zugrundegelegt wurde.
Der Terminus der blanken Haut wird irrtümlich und in schädigender Weise verwendet. Menschen, die auf die gesellschaftliche Akzeptanz ihrer Nacktheit angewiesen sind, droht damit die Gefahr, ihren nudistischen Lebensstil auf Reservate wie FKK-Gebiete oder Nacktwanderwege einzuschränken.
Die Nacktheit der Genitalien im öffentlichen Raum ist allenfalls ein Tabu; und dies auch nur für eine zahlenmäßig eingeschränkte Gruppe an Menschen (siehe Infografik statista), für die die Medien Genitalien verpixeln.
Das schafft weitere Tabuisierung und festigt sie. Alle Welt glaubt, dass das so sein müsse, und das, während jeder einzelne Mensch weiß, wie Genitalien aussehen…!
An der selbst gewählten Aussage, dass Nacktheit noch immer ein Tabu sei, ist aspekte gescheitert. Besser hätte die Frage gestellt werden müssen, ob das Tabu überhaupt besteht. Es unterlassen zu haben, halte ich für eine Stabilisierung des behaupteten Tabus.
Mein Statement: Dass das ZDF das Thema Nacktheit im Format aspekte aufgegriffen hat, finde ich an sich super und sehr wertvoll, dass es sich aber die Krone der Scheinheiligkeit aufsetzt, indem es die Nacktheit im vermeintlichen Tabu belässt, wohl um sich nicht mit einer minoristischen Welle der Empörung konfrontiert zu sehen, ist schade und traurig.
Letztlich ging es mal wieder um Aufmerksamkeit, nicht um die tatsächliche Klärung, ob Nacktheit wirklich das Tabu ist, wie gemeinhin Glauben gemacht wird. Deutlich macht das allein schon der Sendungstitel, ohne zu bemerken, dass die Belege für diese falsche Aussage fehlen.
Jedenfalls hätte ich mir gewünscht, dass insgesamt weniger über die Nacktheit in der Kunst und mehr über das wirkliche Leben von Menschen berichtet worden wäre, die gerne unbekümmert nackt sind; das ist doch das wirklich Interessante, wie sie das im Rahmen des vermeintlichen Tabus tun!
Ich freue mich eigentlich über jede Auseinandersetzung von Menschen über die Aspekte der Nacktheit. Eigentlich, denn diese Abhandlung zu den angeblichen Fehlern der Aspekte Sendung, die maßgeblich darin besteht, sich am Titel der Sendung hochzuziehen kann ich nicht folgen. Die ist mir leider, wie mittlerweile fast alles an dieser Seite viel zu verkopft und ich frage mich, für wen diese Beiträge noch eine Bereicherung darstellen?
Ich verstehe jedenfalls nicht, wie man erwarten kann, dass in 45 min. ein so komplexes Thema wie die Akzeptanz der Nacktheit allumfassend geklärt wird. Und das ein Titel zu einer Sendung Interesse wecken soll, das ist doch klar.
Lieber Ralf,
verkopft sollen meine Blogartikel nicht sein; eine Bereicherung aber schon, sonst würde ich mir keine solche Mühe mit meinem Blog und meinen Rundmails geben.
Aber ich denke, dass manche Menschen sich ganz gerne auch etwas theoretischer mit dem gesellschaftlichen Umgang mit der Nacktheit auseinandersetzen, um dann in der Praxis mehr Nacktheit zu wagen. Das ist schließlich mein Anliegen: Nudare aude! – Habe Mut, nackt zu sein! (Was alles andere als ein verkopfter Anspruch ist.)
Übrigens, dass das ZDF deine Radgruppe für die aspekte-Sendung als ein nacktives Beispiel aufgegriffen hat, ist super; Gratulation dafür! Meine Kritik zielt indessen aber, wie oben zu lesen ist, auf die falsche Behauptung ab, dass „blanke Haut“ ein Tabu sei – denn wenn sie das wäre, dann hättet ihr nicht so viele unproblematische bis freundliche Begegnungen auf dem Feldberg im Taunus.
Ich finde es schade, das in der Sendung nicht weiter auf die christliche Einstellung zur Nacktheit eingegangen wird.
Ich bin aktiver Christ und Naturist. Klar habe ich mich gefreut, passt das zusammen? Ja, die Schöpfungsgeschichte zeigt ganz klar: Gott sieht keinen Grund, warum der Mensch nicht nackt sein soll. Die „Erkenntnis“, dass sich der Mensch seiner Nacktheit schämen müsse, kam erst nach dem Sündenfall auf und mit Sicherheit nicht von Gott; also eher von der Schlange als Sinnbild der bösen Mächte. Dieses Schamgefühl ist das erste Zeichen der Trennung von Gott. Aber mit Jesu ist der Weg zu Gott gelegt. Die Überwindung dieses falschen Schamgefühls bringt uns also eher näher an Gott heran.
Selbst die katholische Kirche hat nach meinen Kenntnisstand grundsätzlich nichts (mehr) gegen Nacktheit.
Im biblischen Kontext geht es nicht um eine Scham, die speziell auf den Körper oder die Genitalien abzielt, sondern um eine Scham, die mit dem moralischen Zustand des Menschen nach dem Sündenfall verbunden ist. Vor dem Sündenfall waren Adam und Eva unschuldig und hatten keine „niederen“ oder „moralischen“ Schamgefühle in Bezug auf ihre Nacktheit. Nach dem Sündenfall jedoch erfahren sie eine neue Art von Bewusstsein – sie erkennen sich selbst in einer moralischen Dimension, und das führt zu Scham.
Scham ist in dieser Erzählung also eher das Ergebnis ihres Verstoßes gegen Gottes Gebot und ihrer neuen Erkenntnis, dass sie in Gegensatz zu Gott stehen. Ihre Nacktheit wird plötzlich zu einem Symbol für ihre moralische „Blöße“ – sie haben sich von Gott entfernt, und das führt zu dem Gefühl, sich „verbergen“ zu müssen.
Genitalien und Körper sind nicht primär schändlich. Die Bibel behandelt Nacktheit als etwas Natürliches und Unschuldiges, solange der Mensch in Harmonie mit Gott lebt. Das Essen der verbotenen Frucht verändert dieses Verhältnis jedoch. Die Nacktheit selbst, als Teil des Körpers, wird nicht im moralischen Sinne als „schlecht“ oder „verwerflich“ dargestellt. Sie wird lediglich durch das moralische Bewusstsein der Sünde belastet, nicht aufgrund der Genitalien an sich.
Im Kontext des Sündenfalls bedeutet die Scham also nicht, dass die Körperteile oder Genitalien selbst etwas Sündhaftes sind. Es geht vielmehr darum, dass der Mensch sich selbst als „unwürdig“ oder „verletzlich“ wahrnimmt, nachdem er von der Unschuld und der Nähe zu Gott getrennt wurde. Die „Scham“ ist also eine tiefere, symbolische Reaktion auf den Verlust der geistigen Unschuld und das neue Bewusstsein der Trennung von Gott.
Die Scham in der biblischen Erzählung könnte als symbolisch für den Verlust des inneren Gleichgewichts und der Harmonie zwischen dem Menschen und seiner Umgebung (einschließlich seines eigenen Körpers) verstanden werden. Die Nacktheit wird durch den Sündenfall als „nackt im moralischen Sinn“ interpretiert – also als eine „Zerbrochenheit“ in der Beziehung zu Gott, zum Mitmenschen und auch zu sich selbst.
In vielen Teilen der Bibel wird der Körper zwar als heilig angesehen (z. B. im Neuen Testament, wo der Körper als Tempel des Heiligen Geistes betrachtet wird), aber das bedeutet nicht, dass der Körper oder die Nacktheit an sich als sündhaft oder negativ gilt. Vielmehr liegt der Fokus auf dem moralischen Verhalten und der Reinheit des Herzens und der Absichten. In diesem Kontext könnte man also sagen: Es geht weniger darum, sich für den Körper oder die Genitalien zu schämen, sondern um das moralische Bewusstsein, das durch den Sündenfall in den Menschen eingetreten ist.
Die Scham nach dem Sündenfall betrifft also vor allem den moralischen Zustand der Menschheit, der mit dem Verlust der Unschuld und der Trennung von Gott verbunden ist. Die Nacktheit an sich ist nicht sündhaft, sondern wird zur Metapher für die moralische „Blöße“. Die Scham richtet sich weniger auf die Körperteile, sondern vielmehr auf den inneren Zustand und die Verantwortung für das eigene Handeln im Einklang mit göttlichen Geboten.
Zur Sendung im ZDF: Ich empfand diesen Bericht für die Allgemeinheit durchaus gelungen. Man muss nicht immer tiefgründige Analysen vorlegen. Dafür ist das Thema zu komplex und es soll ja die breite Masse ansprechen. Da muss man in der Zusammenstellung des Beitrags schon Abstriche machen. Das Thema Nacktheit ist zu vielschichtig und umfangreich. Das kann man in 45 Minuten nicht vollumfänglich betrachten.
Hallo Ralf,
da stimme ich dir völlig zu: tiefgründige Analysen müssen nicht immer sein.
Mir geht es aber um das behauptete Tabu, das angeblich noch immer vorhanden sei. Ich hätte gerne einen positiv formulierten Titel gesehen, etwa: Nackt! Warum viele Menschen völlig unbekleidet in der Natur sind
Das wäre sachlich sowie neutral in der Darstellung.
Das Thema Nackt in der Öffentlichkeit bzw. sichtbare Genitalien treffen das Problem haarscharf.
Meine Erfahrungen als Nacktwanderer möchte ich hier ergänzen. Es ist zwar wunderschön, nackt allein zu wandern, vor allem jetzt, wenn der Wald anfängt grün zu werden, doch was mich dauernd bewegt:
Wie werde ich von anderen gesehen, denen ich begegne? Was denken sie? Die überwiegende Mehrheit reagiert neutral bis freundlich, aber trotzdem hab ich ständig das Gefühl, an das von dir beschriebene Tabu zu rühren.
Ich suche mir extra die Wege aus, von denen ich inzwischen weiß, dass sie wenig begangen sind. Das Gefühl dabei ist, als Nackter hoffentlich niemandem zu begegnen. Sonntage auf vielbegangenen Wegstrecken nackt zu laufen ruft bei mir ein Gefühl hervor, etwas Verbotenes oder zumindest Unmoralisches zu tun, zu provozieren.
Blödes Gefühl, innerhalb zwei Stunden Dutzenden von Menschen zu begegnen, jedes Mal Herzklopfen zu haben, auch wenn ich das nicht wahrhaben will – ich bin noch weit davon entfernt, gelassen Nacktheit zu demonstrieren (das falsche Wort: ich demonstriere ja nichts).
Ich habe mehrfach aus genannten Gründen aufs Nacktwandern verzichtet, mir eingeredet, Wichtigeres tun zu müssen, ach, es gibt noch viel zu tun.
Manchmal bin ich auch so abgebrüht, dass mir keinerlei Zweifel kommen. Letztes Jahr im Februar auf Fuerte konnte ich seelenruhig durch Wohngebiete schnüren, ohne Angst. Soll als Beispiel genügen.
Hallo Reinhard,
besten Dank fürs Teilen deiner Erfahrungen und wie du dich fühlst, wenn du draußen nackt bist.
Ich denke, dieser Blogartikel passt hier thematisch: Einfach nackt sein, ohne Herzklopfen!
Übrigens: gerne immer teilen 🙂
Ich bin durch Zufall auf diese Seite und den Artikel gekommen, und da ich zuhause gerade selber über meine Naturistwerdung schreibe, ging mir schon länger ein Gedanke durch den Kopf, der zu diesem Thema passt.
Als FKK-Anhänger und Nacktwanderer, beschäftigt mich natürlich auch die rechtliche Seite. Und so kam auch ich zu der Folgerung, dass es sich bei der gesetzlichen Ablehnung der Nacktheit, nur um das männliche Geschlechtsteil handeln kann. Da ich zum Einen eine blühende Fantasie habe, und zum Anderen als Single viel Zeit zum Nachdenken, kam ich auf diesen Gedanken.
Ein Mann, von Kopf bis zu den Zehen rasiert, hat durch Krankheit oder Unfall seinen Penis und seine Hoden samt Hodensack verloren. Der Ausgang für die Harnröhre wurde von den Ärzten zwischen die Beine in den Damm/Perineum verlegt. Er ist für Außenstehende nicht zu sehen.
Der Mann läuft nackt quer durch die Stadt. Von seiner Wohnung, durch die Fußgängerzone, durch den Park und wieder nachhause. Nun wird der Mann von einem Passanten angezeigt.
Wie wird wohl das Gericht urteilen, und mit welchen Argumenten?
Da der Mann keine Geschlechtsteile mehr hat, sieht man nicht mehr wie bei einem Mann, der einen Stringtanga an hat. Sekundäre Geschlechtsmerkmale wie bei einer Frau die Brüste, hat er ja keine. es ist also nur nackte Haut zu sehen.
Ich würde mich über Antworten freuen.
Hallo Robert, ein schöner Gedanke!
Für meine Begriffe müsste dieser Mann unbehelligt nackt sein dürfen (mal abgesehen davon, dass es ohnehin so sein sollte).
Denn das Körperteil, um das sich der ganze Reibach ums Nacktsein dreht, ist schließlich nicht sichtbar bzw. vorhanden.