Was ist Moral und Ethik?

Moral und Ethik

Wie du dich für das Gute oder Richtige entscheidest, selbst wenn moralische Sitten und Normen dagegensprechen. Drei (einfache) Schritte.

Du stehst vor einer schwierigen Entscheidung und bist dir nicht sicher, was moralisch richtig und was falsch ist? Das „Geheimnis“ ist, den Unterschied zwischen Moral und Ethik zu verstehen.

Das Verständnis dieses Unterschieds zwischen Moral und Ethik hat mir geholfen, den Grund und die Wurzel beispielsweise für Rassismen und Sexismen in den Blick zu bekommen und dabei die Mechanismen zu erkennen, die mich blind für die eigenen Fehler gemacht hatten.

Nun weiß ich beispielsweise, warum Gendersterne für die Gleichbehandlung der Geschlechter keine gute Idee sind und was Badehosen im Schwimmbad mit strukturellem Sexismus zu tun haben.

Schritt 1: Erkenne den Unterschied zwischen Moral und Ethik

Stell dir vor, du müsstest in einer Kultur leben, in der Keuschheit (vor der Ehe) einen Wert darstellt. Unter anderem wäre es moralisch untersagt, im Zimmer des Verlobten zu übernachten. Ein Verstoß zöge den Tatbestand der Kuppelei nach sich. Sehr wahrscheinlich würdest du dich unbehaglich fühlen, weil es den Werten deiner Gesellschaft und Kultur nicht entspricht, die du gewohnt bist. In beiden Moralsystemen aber, sowohl dem deiner tatsächlichen als auch dem der anderen (vorgestellten) Kultur, herrschen moralisch geprägte Wertvorstellungen vor, die das zwischenmenschliche Wohlverhalten als Ziel und Grundlage haben.

Das Problem ist hier also nicht, ob es eine Moral gibt oder nicht. In verschiedenen Gesellschaften mit unterschiedlichen Wertüberzeugungen mag sie bisweilen ganz unterschiedlich geprägt sein. So kann in der einen Gesellschaft der Wert des zwischengeschlechtlichen Wohlverhaltens vorherrschen, in einer anderen der Wert des Rechts auf Entfaltung persönlicher Freiheit.¹ Moral aber haben wir hier wie da. – Nein, das Problem ist die moralische Anomalie. Sie zeigt sich mit der Frage, welche Wertvorstellung moralisch die bessere oder richtigere ist.

Die (jeweilige) Moral vermag das nicht zu entscheiden, da jede Gemeinschaft und Gesellschaft mit ihren Wertüberzeugungen sie gleichermaßen in ihrem jeweiligen System begründen kann. Dennoch willst du dir wahrscheinlich Klarheit darüber verschaffen, welcher moralische Werte der richtige ist. Dass nicht einfach von der einen Moral aus über die andere geurteilt werden kann, wird spätestens dann deutlich, wenn du innerhalb deiner eigenen Kultur moralische Anomalien erkennst. Hier kommt nun die Ethik ins Spiel. Sie versucht auf wissenschaftlichem Boden zu ergründen, was das Gute ist – und zwar unabhängig von den jeweiligen moralischen Wertvorstellungen, die eine Gesellschaft dominieren.

Schritt 2: Erkenne das Gute

Nutze deine Intuition, wenn du dich in deiner Gesellschaft unfrei fühlst! Denn du hast im ersten Schritt gesehen, dass die Moral nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Sie ist lediglich das vorherrschende Lebenskonzept einer Gesellschaft, die nicht zwangsläufig einer ethischen Begründung bedarf.

Vertraue also deiner Intuition, wenn dir bestimmte Verhaltensweisen oder Gepflogenheiten deiner Mitmenschen das Gefühl der Unfreiheit verleihen. Achte auf solche Momente und nimm deine Gefühle dabei ernst. Ein Beispiel aus meiner Erfahrung mag das verdeutlichen: Wenn ich im Schwimmbad bin oder im Sommerwald spaziere, dann empfinde ich wegen meiner Badehose oder Kleidung Unfreiheit. Denn im Wald möchte ich den warmen Wind in durch das Grün brechenden Sonnenstrahlen an der Haut meines gesamten Körpers spüren! Ich will, dass er mich an jeder Stelle meines Körpers umspielt! Im Schwimmbad oder am Baggersee möchte ich nicht anziehen, was ich für das Schwimmen nicht brauche! Ich will keine kalte Hose, wenn ich aus dem Wasser komme, und ich will keine sogenannte weiße Unterhose!

Wenn du nun das Gute (unabhängig von moralischen Schranken) erkennen willst, dann musst du das Gefühl der Unfreiheit zulassen oder anderen zugestehen, dass sie es verspüren. Nur auf diese Weise wirst du empfindsam für moralische Anomalien, die wahrzunehmen und zu erkennen die Voraussetzung für echten moralischen Fortschritt ist. In meinem Beispiel besteht die moralische Anomalie in der Wertüberzeugung des gesitteten und manierlichen Wohlverhaltens, die, wie im Beispiel oben, dem Recht auf Entfaltung der persönlichen Freiheit gegenübersteht.

Der Weg ist das gemeinsame Ziel.
Nicole und Frank Winkler, Schneverdingen, auf ihrem Weg zum gemeinsamen Ziel!

Pass auf, jetzt wird es konkret: Um diese moralische Anomalie, die du dir durch die Schärfung deines Gefühls der Unfreiheit bewusst gemacht hast, aufzulösen und zu entscheiden, welcher moralischen Anforderung du nun – ethisch begründet – folgen sollst, gebe ich dir einen Prüfstein an die Hand, mit dem du jede gewonnene moralische Anomalie auflösen kannst. Ausgearbeitet und ethisch entwickelt habe ich diesen Prüfstein in meinem Buch Die Objektität des Bewusstseins:

„Prüfe, ob dein Denken oder Handeln dir nicht zuwiderhandelnde Lebewesen oder ungefährliche Gegenstände infrage stellt. Wenn ja, dann folge möglichen Auswegen!“²

Stellst du beim Spaziergang oder im Schwimmbad, ob nun bekleidet oder nicht, deine Mitmenschen, die nichts anderes machen wollen als du, infrage? Sie handeln dir nicht zuwider, noch stellst du sie mit deinem Handeln infrage. Ganz im Gegenteil ist es offensichtlich so, dass hier die Werte der Freiheit, des Respekts und der Toleranz zum Tragen kommen und unbedingt gelebt werden müssen. Du erkennst hier also, was wirklich gut und richtig ist!

Schritt 3: Habe Mut!

Ist das nicht verrückt?! Wir sind in unserer Gesellschaft und Kultur so sozialisiert, dass wir mutig sein müssen, wenn wir etwas moralisch Gutes tun wollen. Vielleicht willst auch du einmal mutig sein? Gerne erzähle ich dir von einer meiner Erfahrungen, die ich bei einer solchen Handlung gemacht habe, die zwar moralisch gut ist, aber kaum von jemandem akzeptiert zu werden scheint. In der folgenden Situation nun war ich dem Widerstreit in mir ausgesetzt: Auf der einen Seite war ich versucht, der Angst vor Ablehnung und der Scham, die mich davor schützt, abgelehnt zu werden, nachzugeben, auf der anderen Seite wollte ich dem Gefühl der Freiheit und dem Wissen, dass mein Tun moralisch gut ist, folgen. Ich kann dir sagen, dass es mir nicht auf Anhieb gelang, mutig zu sein. Ich brauchte mehrere Anläufe, bis ich endlich die mentale Stärke dafür aufbringen konnte. Im Folgenden beschreibe ich dir deshalb in zwei Erlebnisprotokollen von einem Spaziergang im Wald, zuerst von einem, als ich den Mut noch nicht gefasst hatte, dann von jenem, als ich es endlich schaffte:

Es ist ein wunderschöner Sommermittag. Ich bin hier gerade auf einem Waldweg, dicht bewachsen, richtig überwuchert von sattgrünen Bäumen, der Weg liegt größtenteils im Schatten, überall kleine Sonnenflecken, die durch das Laub scheinen, ja, eine äußerst angenehme Temperatur, richtig anmutig. Das Schönste, das ich mir hier jetzt vorstellen könnte, ist es, dies am ganzen Körper zu spüren. Wie mich der Wind überall am Körper streift und ich mich so richtig frei in dieses Erlebnis hineinwerfen kann. Das wünschte ich mir! – Aber leider nicht möglich. Ich muss immer Angst haben, dass irgendjemand des Weges kommt, mich als pervers … – Ja, da vorne kommt auch schon jemand. – Wenn ich hier jetzt unbekleidet wäre, was wäre dann? Würden die Leute schockiert stehen bleiben? Was würden sie tun? Wie sollte ich mich verhalten? Wahrscheinlich ganz ungezwungen, nicht anders wie sonst auch! Aber ich will ja nicht als – ja, ich würde als Perversling angesehen werden. Dabei würde ich eigentlich …, ja: nur das Normalste und eines der schönsten Dinge auf der Welt tun!

Es ist offensichtlich, dass ich bei dem geschilderten Spaziergang noch von der Angst gefesselt war. Zwar war mir die moralische Anomalie bewusst, die hier in der sozialisierten Manierlichkeit gegenüber meinem Wunsch bestand, das Recht auf meinen persönlichen Lebensstil wahrzunehmen. Die Angst hinderte mich aber daran, sie zugunsten des moralisch Guten aufzulösen. Irgendwann schaffte ich es aber doch. Denn der Leidensdruck, meine Freiheit nur theoretisch zu denken, nicht aber wirklich auszuleben, zwang mich zur konkreten Handlung. Festgehalten habe ich diese Erfahrung, meine Ängste tatsächlich überwunden zu haben, im folgenden Erlebnisprotokoll:

Über Moral und Ethik kannst du gerne beim nackten Waldspaziergang nachdenken.
Symbolbild

Ich befinde mich wieder auf demselben Waldweg, auf dem ich schon so oft voller Angst gegangen bin. Die Schönheit der Bäume mit ihren großen, sich gegenseitig überragenden Zweigen, der Duft des weichen Bodens, die warme, sonnendurchflutete Luft im Klang zwitschernder Vögel und des Plätscherns des kleinen Bachs neben mir, in dem das Licht der Sonne silbern tanzt. Ich atme tief, ganz tief diese Luft ein! Ich freue mich, nun tatsächlich hier zu sein und mich in die Umgebung fallen zu lassen, eins mit ihr zu sein: Denn ich bin nackt. Endlich hier und – nackt! Passanten? Die bereiten mir keine Sorgen. Sollen sie doch sehen, wie gut es mir geht! Ich fühle mich einfach nur gut und richtig hier! Und tatsächlich – da kommt schon jemand des Weges. Ich spüre meinen Herzschlag. Aber er beflügelt mich, ja: Die vormalige Angst, die ich an dieser Stelle hier zuvor hatte und die mich von der Situation, in der ich gerade bin, nur träumen ließ, ist wie weggeblasen. Ich bin stolz. Stolz auf meinen Mut. Ich grüße freundlich. Und … ich werde zurückgegrüßt!! Grandios, genau so soll es doch sein, denke ich mir. Und mir wird klar, dass das Schlimmste, was mir hätte passieren können, gewesen wäre, jetzt nicht hier so zu sein, wie ich es gerade bin. Mein Mut hat mir so unendlich viel neue Freiheit geschenkt, sage ich mir und gehe weiter.

Fazit zu Moral und Ethik

Moral ist nicht gleich Ethik. Wenn du wirklich etwas in der Welt zum Positiven verändern willst, dann solltest du dich nicht blind an der vorherrschenden Moral orientieren. Prüfe sie vielmehr auf der Ebene der Ethik und frage danach, ob sie nicht optimiert werden kann. Den Prüfstein, der dir hier zur Verfügung steht, habe ich oben beschrieben. Wenn du selbst mutig bist (oder andere mutig sein lässt), trägst du zum moralischen Fortschritt bei.


Quelle:
¹ Vgl. dazu U. T. Wolfstädter (2021). Die Objektität des Bewusstseins. Berlin: Frank & Timme, S. 518ff.
² Ebd., S. 513.

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