Du willst allen sagen, dass du nackt sein willst, so oft es geht. In der Schule traust du dich aber nicht, darüber zu sprechen, deinem Freund hast du auch noch nichts erzählt.
Es fühlt sich wie ein Knoten im Bauch an, sagst du? – Das kenne ich gut.
Du willst dich nicht mehr verstecken; nackt willst du sein und dazu stehen!
Warum es dir schwer fällt, dich zu outen mit deinem nackten Lebensstil, hängt auch damit zusammen, dass du vielleicht den Unterschied zwischen Moral und Ethik nicht kennst.
Die folgenden Schritte helfen dir dabei, mehr zu deiner Nacktheit zu stehen:
Schritt 1: Erkenne den Unterschied zwischen Moral und Ethik
Stell dir vor, du müsstest in einer Kultur leben, in der Keuschheit einen Wert darstellt.
Du müsstest zum Beispiel bei der Buchung eines Doppelzimmers als Paar eine Ehe nachweisen. So wäre es moralisch untersagt, mit deinem Partner in demselben Zimmer zu schlafen, weil der Gesetzgeber der Ansicht ist, dass Sex in die Ehe gehöre. Und wer die Möglichkeit zu außerehelichem Sex, etwa durch die Verfügbarmachung eines Raumes, anböte, zöge den Tatbestand der Kuppelei nach sich.
Sehr wahrscheinlich lässt dich diese Vorstellung unbehaglich fühlen, weil es den Werten der heutigen Gesellschaft und Kultur nicht entspricht, die du gewohnt bist.
Dieses Szenario ist vor gut fünfzig Jahren in Deutschland Realität gewesen.
In beiden Moralsystemen aber herrschen Wertvorstellungen vor, die das zwischenmenschliche Wohlverhalten als Ziel und Grundlage haben.
Das Problem ist hier also nicht, ob es eine Moral gibt oder nicht. In verschiedenen Gesellschaften oder Zeiten mag sie ganz unterschiedlich geprägt sein. So kann einmal der Wert des sexuellen Wohlverhaltens bestimmend sein, einmal der Wert der persönlichen Freiheit.¹ Moral aber haben wir immer gegeben; und sie vermag es nicht zu entscheiden, welche der beiden Wertvorstellungen die richtige ist.
Entscheidend ist die moralische Anomalie. Sie zeigt sich im Aufeinandertreffen verschiedener Wertvorstellung.
Jetzt kommt die Ethik ins Spiel: Sie nimmt die moralische Anomalie in den Blick.
Definition Moral:
Die Moral spiegelt die Werte einer Gesellschaft wider, die sich aus ihren Sitten und Bräuchen erschließen.
Definition Ethik:
Die Ethik untersucht, wie sich die Werte einer Gesellschaft auf ihr moralisches System auswirken.
Schritt 2: Spüre die moralische Anomalie auf
So habe ich es gemacht, indem ich feststellte:
- Beim Spaziergang möchte ich keine Kleidung tragen müssen, wenn sie mich den Frühling nicht spüren lässt!
- Im Schwimmbad möchte ich nicht anziehen müssen, was ich fürs Schwimmen nicht brauche!
Tadaa!
Meine Damen und Herren, bitte sehr: die moralische Anomalie.
Hier stehen sich die Werte des schamhaften Wohlverhaltens und die Entfaltung der persönlichen Freiheit gegenüber.
Es ist wie in dem Beispiel oben; weshalb sich die Frage stellt: ob nicht auch hier deiner persönlichen Freiheit größeres Gewicht beigemessen werden muss.
Wenn du nun diesen Fall ethisch betrachtest und schaust, wie sich in eine Entscheidung zugunsten der persönlichen Freiheit auswirkt oder auswirken würde, dann hast du die Antwort – ja: die Antwort, ob es sich lohnt, moralischen Fortschritt zu wagen!
Schritt 3: Nudare aude! – Habe Mut, nackt zu sein
Natürlich brauchst du Mut: Auf der einen Seite steht die Angst vor Ablehnung, auf der anderen das Gefühl der nackten Freiheit. Dies aufzulösen gelingt nicht auf Anhieb. Mut entwickelt sich und braucht mehrere Anläufe.
Hier hatte ich den Mut noch nicht gefasst:
Es ist ein wunderschöner Sommermittag. Ich bin auf einem Waldweg, dicht bewachsen, richtig überwuchert von sattgrünen Bäumen, der Weg liegt größtenteils im Schatten, überall kleine Sonnenflecken, die durch das Laub scheinen, eine äußerst angenehme Temperatur herrscht vor.
Das Schönste, das ich mir jetzt vorstellen könnte: dies am ganzen Körper zu spüren. Wie mich der Wind überall am Körper streift und ich mich so richtig frei in diesem Erlebnis suhle.
Das wünschte ich mir!
Aber leider scheint es, nicht möglich zu sein.
Ich habe Angst, dass jemand des Weges kommt, mich als pervers … – Ja, da vorne kommt auch schon jemand. – Wenn ich hier jetzt unbekleidet wäre, was wäre dann? Würden die Leute schockiert stehen bleiben? Was würden sie tun? Wie sollte ich mich verhalten? Wahrscheinlich ganz ungezwungen, nicht anders wie sonst auch! Aber ich will ja nicht als – ja, ich würde als Perversling angesehen werden. Dabei würde ich eigentlich …, ja: nur das Normalste und eines der schönsten Dinge auf der Welt tun!
Dann hatte ich es endlich geschafft, meine Ängste zu überwinden:
Ich befinde mich auf demselben Waldweg, auf dem ich schon so oft spazierte. Die Schönheit der Bäume mit ihren großen, sich gegenseitig überragenden Zweigen, der Duft des weichen Bodens, die Wärme der sonnendurchfluteten Luft, der Klang zwitschernder Vögel, das Plätschern des kühlen Bachs, in dem das Licht silbern tanzt.
Ich atme tief, ganz tief diese Luft ein!
Ich freue mich, nun tatsächlich hier zu sein: Ich bin nackt. Endlich hier und – nackt!
Passanten? Die bereiten mir keine Sorgen. Sollen sie doch sehen, wie gut es mir geht! Und tatsächlich – da kommt schon jemand des Weges. Ich spüre meinen Herzschlag. Aber er beflügelt mich, ja: Die vormalige Angst ist wie weggeblasen. Ich bin stolz auf meinen Mut. Ich grüße freundlich. Und … ich werde zurückgegrüßt!! Grandios, genau so soll es doch sein.
Mir wird klar: das Schlimmste, was mir hätte passieren können, ist jetzt nicht nackt zu sein.
Fazit
Wenn du dich persönlich entwickeln willst, dann solltest du dich nicht blind von der vorherrschenden Moral lähmen lassen.
Prüfe, ob eine moralische Anomalie vorliegt und ob es sich lohnt, für deine Werte zu kämpfen.
So nimmst du die Ethik zuhilfe, um deine Ziele zu erreichen; zum Wohl aller.
Ich habe eine Formel ausgearbeitet, mit der du entscheiden kannst, ob es ethisch richtig ist, einen vorherrschenden moralischen Wert zugunsten deiner persönlichen Freiheit aufzukündigen:
Prüfe, ob dein Denken oder Handeln dir nicht zuwiderhandelnde Lebewesen oder ungefährliche Gegenstände infrage stellt. Wenn ja, dann folge möglichen Auswegen!²
Das gehen wir nackig durch, und prüfen also:
ob du nackt beim Spaziergang oder im Schwimmbad deine Mitmenschen infrage stellst. Sie handeln weder dir zuwider, wenn sie Badekleidung tragen, noch stellst du sie mit deinem Handeln infrage, wenn du nackt bist.
Vielmehr kommen die Werte der Freiheit, des Respekts und der Toleranz zum Tragen.
Quelle:
¹ Vgl. dazu U. T. Wolfstädter (2021). Die Objektität des Bewusstseins. Berlin: Frank & Timme, S. 518ff.
² Ebd., S. 513.
Es sollten jedes Jahr mehr WNBRides in Deutschland stattfinden, um die Werte von Naturismus in die Gesellschaft zu tragen bzw. um diese Puplik zu machen.
Hallo Toni,
ja – das wäre schön. Aktionen wie die WNBRides sind eine gute Möglichkeit für die Sache zu werben. Und darüber hinaus kann jeder Einzelne etwas tun, um die naturistischen Werte in den Alltag der Gesellschaft zu tragen. Aber ich glaube, dass es noch mehr Wirkung hat, wenn wir einfach nackt spazieren gehen, also unabhängig von irgendwelchen Aktionen.
Wenn man sich mit einem zentralen Thema von NUDARE AUDE befassen will, wird man im Blog den Text „Was ist Moral und Ethik“ lesen; also obige Ausführungen. Es sind die zwei Begriffe – Moral und Etik, über die man sich im Klaren werden muss, wenn es um die Frage geht: „Warum lebe ich so und ist das richtig“. Im konkreten Leben geht es – wie der Autor aufzeichnet – auch um die Frage, wie gehe ich mit Nacktheit im öffentlichen Raum um und um die Klärung dieser Frage geht es hier.
Der Autor, Ulrich Wolfstädter, schildert in diesem Text sehr anschaulich:
„Es ist ein wunderschöner Sommermittag. Ich bin hier gerade auf einem Waldweg, dicht bewachsen, richtig überwuchert von sattgrünen Bäumen…….“
die fast immer anzutreffende Unsicherheit, die Richtigkeit des aktuellen Verhaltens unter dem Gesichtspunkt Moral und Ethik zu finden. Die vorherrschende Moral, nicht nackt zu wandern, steht im Widerspruch zu dem ggf. subjektiven Anspruch, beim Wandern unter den gegebenen Umständen die Bekleidung abzulegen. Die Auflösung zeigt dann auch Ulrich Wolfstädter: Es ist die Orientierung an der Ethik und deren Normen.
Die Suche nach den Normen der Ethik ist dann das eigentliche Problem. Ist es richtig, im Sinn den eigenen Bedürfnissen zu folgen, nackt zu Wandern und die persönlich nicht überzeugenden Moralvorstellung, dass Nacktheit i. ö. Raum inakzeptabel ist, über Bord zu werfen? Sind solche Ansichten falsch? Was ist das richtige Leben?
Die immer wieder zitierte Feststellung von Adorno: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ trifft auch die o. e. Problematik der Entscheidung, wie ich wandern sollte. Finde ich, gibt es die ethischen Normen, die mir das „richtige“ Leben gestatten, wie ich es empfinde. Verbunden ist mit o. e. Aussage von Adorno scheinbar ein Negativismus. Aber eben nur scheinbar, denn Adorno formuliert in seinen verschiedenen Schriften die Orientierung an Normen, die das richtige Leben möglich machen, wenn man Freiheit von moralischen Anomalien gewinnen will. Dieses aufzuzeigen, bemüht sich aktuell Peter E. Gordon in seinem neuen Buch: ADORNO UND DIE QUELLEN DER NORMATIVITÄT.
Zurück zum Ausgangspunkt, dem Waldspaziergang des Autors Ulrich Wolfstädters. An welcher Ethik kann er die Sinnhaftigkeit der ihm inakzeptablen erscheinenden Moralvorstellung prüfen. Einen Katalog ethischer Normen gibt es nicht und wohl schon gar nicht mit weltweiter Verbindlichkeit. Die Idee von Hans Küng, einen Weltethos zu formulieren, ist wohl untergegangen. Subjektive philosophische Überlegungen zu ethischen Normen werden kaum zum für alle verbindlichen „richtigen“ Leben führen. Die Bundesregierung lässt sich sogar bei Bedarf von einem sogenannten Ethikrat bei anstehenden Entscheidungen unterstützen; hilft aber hier auch nicht weiter.
Mir scheint die Vorstellung von Niklas Luhmann zu den gegebenen Normen der Ethik in Deutschland sehr überzeugend. Es ist für den Soziologen Luhmann die Soziologie, die sich mit der Gesellschaftstheorie beschäftigt und so ist für die Ethik für ihn die verfasste Gesellschaft in der wir leben die Basis für die Wertmessung der Ethik bei der Beurteilung der Moral. Zu dieser verfassten Gesellschaft gehört zweifelslos das Grundgesetz und der dortige Artikel 2 garantiert die freie Entfaltung einer jeden Persönlichkeit, soweit diese nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Luhmann und Adorno liegen dann auch von ihrer jeweiligen Ideenwelt nicht allzu weit auseinander. Theodor W. Adorno war zeitweise Leitender Geschäftsführer des Instituts für Sozialforschung an der Universität in Frankfurt.
Wer sich also auf diesen Art. 2 seine Nacktheit i. ö. Raum betreffend beruft, hat die passende Norm der Ethik gefunden, um moralische Anomalien, wie die Inakzeptanz der Nacktheit i. ö. Raum zurückzuweisen. Die gefragte ethische Norm in diesem konkreten Fall der Bewertung der angesprochen Moral in einem höchstrelevanten Gesetzeswerk zu finden, macht die gefundene Antwort dann auch sehr überzeugend.
Ulrich Wolfstädter und alle die es ihm gleichtun, sind aus meiner Sicht mit dieser Basis auf dem richtigen Weg und heraus aus dem „falschen“ Leben, wie es Adorno ggf. gesehen hätte.
Das Seltsame ist ja, dass Moral sich auch innerhalb einer Gesellschaft mit der Zeit auch wieder in die entgegengesetzte Richtung entwickeln kann. So ist die Gesellschaft im 19. Jahrhundert viel prüder gewesen als im Mittelalter. Und selbst im 20. Jahrhundert hat sich das Verhältnis zur Nacktheit ja auch immer wieder in beide Richtungen verändert. War der Nudismus am Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland im Kommen, hat sich das in den 50ern wieder in Prüderie gewandelt. In der DDR war Nacktbaden in Mode und auch eine Art Protest gegen den Staat. In der BRD wurde Ende der 60er Anfang der 70 Nacktheit in der Hippiekultur praktiziert. Oben ohne Sonnen und Baden wurde auch selbstverständlicher für Frauen. Leider ist seit der Jahrtausendwende die Prüderie wieder im Anmarsch. Das merkt man auch daran, dass immer weniger junge Menschen in der Sauna oder im FKK-Bereich zu sehen sind.
Ja, so war es vor langer Zeit:
„Du müsstest zum Beispiel bei der Buchung eines Doppelzimmers als Paar eine Ehe nachweisen. So wäre es moralisch untersagt, mit deinem Partner in demselben Zimmer zu schlafen, weil der Gesetzgeber der Ansicht ist, dass Sex in die Ehe gehöre.“
Und von einem solchen Szenario kann ich altershalber gerne berichten:
1959 – vor 65 Jahren – war ich nach dem Abitur zur Ableistung meines Grundwehrdienstes bei der Bundeswehr in Goslar. Meine Freundin aus Hamburg besuchte mich über Pfingsten und wir suchten eine gemeinsame Unterkunft für wenige Tage.
Es waren etliche Versuche erforderlich, bis wir in Hahnenklee eine Privatpension fanden, wo uns tatsächlich ein Zimmer angeboten wurde. Uns war die damalige Rechtslage – wie hier geschildert – bekannt; aber wir wussten auch um die Möglichkeit, eine freisinnige Vermietung finden zu können. Und mit der gesetzgewordenen damaligen Moral hatten wir nicht viel im Sinn.
Die damalige Zimmersuche war in jeder Hinsicht erfolgreich. Auch hinsichtlich der „Kuppelei“. Es ist eine immer noch bestehende Ehe daraus geworden.
Moral ist immer im Wandel begriffen; sehr viel weniger die Ethik. Aber auch diese ist variabel über die Zeit und die Gesellschaften dieser Welt. Zur subjektiven Orientierung hilft immer: SAPERE AUDE – NUDARE AUDE
In das Nackt sein wird zu viel hinein interpretiert?
Heutzutage gibt viele Möglichkeiten, wo man nackt sein kann, da erübrigt es sich, mehr Nacktheit in der Öffentlichkeit zu fördern. 🤔
Hallo Wolfgang,
vielen Dank für deinen Kommentar.
Wie meinst du das? Wenn es separate Bereiche gibt, in denen man nackt sein kann („Heutzutage gibt es viele Möglichkeiten“), dann muss man nicht im öffentlichen Raum nackt sein?
Da würde ich lieber ein Ausrufezeichen hinter deine Frage setzen, ob in das Nacktsein zu viel hineininterpretiert werde, – und sagen: Jeder sollte so in Erscheinung treten dürfen, wie er sich am wohlsten fühlt!
Es geht doch nicht darum, noch mehr Nacktheit in der Öffentlichkeit zu fördern, sondern Toleranz denen gegenüber zu zeigen, die gerne nackt sein wollen. Schon das Nacktsein auf seinem eigenen Grundstück oder auf einem abgelegenen Waldweg scheint für manche in unserer Gesellschaft nicht akzeptabel.