Der einfache Guide für Anfänger
Wenn du dich fragst, warum wir zwar alle wissen, was wir in Anbetracht der Herausforderungen unserer Zeit tun müssten, dann aber nicht zu konkreten Handlungen finden, mit denen wir ihnen begegnen könnten, dann solltest du die Neubegründung der Transzendentalphilosophie verstehen.
Der Transzendentalismus ist eine philosophische Methode, die hilft zu begreifen, wie es zu unserer Erfahrungswirklichkeit kommt.
Lass dich vom Begriff der Transzendentalphilosophie nicht davon abbringen, den Transzendentalismus zu verstehen. Das ist nicht so schwer, wie es klingt. Vor allem kannst du deine Erkenntnisse für deine Lebenspraxis fruchtbar machen.
In diesem Anfänger-Guide erwarten dich keine Fachsprache und komplexe Formulierungen. Dennoch wirst du in ihm lernen,
1. was Transzendentalismus ist,
2. warum Transzendentalismus für dich wichtig ist und
3. warum die Transzendentalphilosophie einer Neubegründung bedarf.
Das Fazit sei schon einmal vorweggenommen: Die Aufklärung des Sapere aude! muss zum Nudare aude! weiterentwickelt werden.
1. Was ist Transzendentalismus?
Immanuel Kant ist dir vielleicht ein Begriff. Er hat zu ergründen versucht, welche Mechanismen unserem Erkenntnisvermögen zugrunde liegen müssen, damit wir überhaupt Erfahrungen machen können. Kant erkundet in seinem Werk Kritik der reinen Vernunft also einen Bereich, der vor dem Sehen, Hören etc., aber auch dem Verstehen liegt. Es handelt sich also um die Anlagen, die unsere Erfahrung überhaupt erst ermöglichen, um die vor-empirischen Anlagen in der „reinen“ Vernunft. Sie zu beschreiben wird in der Philosophie methodisch als transzendental bezeichnet. Scharf vom Transzendentalismus abzugrenzen ist der Begriff der Transzendenz. Denn dieser beschreibt Dinge, die ganz außerhalb unseres Erkenntnisvermögens liegen und zu denen wir daher keinen wirklichen Zugang haben. Gott ist hierfür das prominenteste Beispiel. Wird er als Schöpfer der Welt gedacht, dann transzendiert, d. h. überschreitet er diese Welt und so auch unsere Vorstellungskraft.
2. Warum ist der Transzendentalismus wichtig für dich?
Mit der Methode des Transzendentalismus fragt der Philosoph nicht wie der Biologe, wie unsere Sinne funktionieren, sondern warum sie funktionieren. Er fragt nach den Bedingungen dafür, dass sie funktionieren können. Das mag holprig klingen und für unseren Alltagsverstand kaum greifbar sein, aber einmal durchdacht, erlaubt es dir, mehr über die Welt, in der du lebst, zu erfahren, als nur an der Oberfläche deiner Erfahrungswirklichkeit, die du von ihr hast, zu kratzen.
Stelle dir dazu einmal die Benutzeroberfläche deines Computers vor, die dir viele Möglichkeiten bietet, sie für die verschiedensten Dinge anzuwenden. Du weißt aber, dass es da etwas gibt, das du nicht siehst, das aber dafür sorgt, dass all dies funktioniert: das Betriebssystem. Es sind die Bedingungen dieser Möglichkeiten, die dich beispielsweise ein Dokument aus dem einen Ordner in einen anderen einfach per Mausklick verschieben lassen. Offensichtlich kann man ein Profi in der Anwendung einer Benutzeroberfläche sein, ohne eine Ahnung von ihrer Programmierung haben zu müssen; wahrscheinlich trifft das auf die allermeisten Menschen zu, die professionell mit ihrem Computer arbeiten. Ebenso kann man fünfzig Jahre lang unfallfrei Auto fahren, ohne Kfz-Mechaniker zu sein. Wird der Autoverkehr aber zum Problem für die Umwelt, dann reicht das Autofahren-Können alleine nicht aus, eine Lösung zu finden. Und wer Meister in der Anwendung einer Benutzeroberfläche ist, die das Transferieren von Dateien erlaubt, wird deshalb nicht automatisch fähig sein, andere Möglichkeiten des Transferierens zu entwickeln. Wenn du also etwas in der Welt, in der du lebst, verändern willst, dann musst du hinter die Kulissen schauen!
3. Warum bedarf die Transzendentalphilosophie einer Neubegründung?
Die Transzendentalphilosophie in der Tradition Kants greift zu kurz, um wirklich genug über uns selbst zu erfahren und zu erkennen, warum wir so sind und handeln, wie wir sind und handeln. Kants Untersuchung der vorempirischen Anlagen unseres Erkenntnisvermögens nimmt lediglich die Bedingungen der Wirklichkeit unserer Erfahrungswelt in den Blick, nicht diejenigen ihrer Möglichkeit. Man könnte sagen, dass Kant in der Philosophie nicht viel mehr als ein sehr guter Soziologe ist, der hinter die Kulissen der kulturellen und gesellschaftlichen Sozialisierungsprozesse zu blicken vermag. So mögen auch der Kfz-Monteur, der Kfz-Mechaniker und der Kfz-Mechatroniker die Bedingung der Wirklichkeit des Autofahren-Könnens sein (sie sind dies mit ihren Fertigkeiten, Autos herzustellen). Für die Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit müssen sie aber noch lange keinen Blick haben. So verharrt auch die Transzendentalphilosophie in der Spur Kants bei den vorempirischen Bedingungen der Wirklichkeit unserer Erfahrungswelt, während die Bedingungen der Möglichkeit dieser vorempirischen Bedingungen unbeachtet bleiben. Eines aber dürfte klar sein: Damit die vorempirischen Anlagen unseres Erkenntnisvermögens transzendental erforscht werden können, muss der Mensch leibhaftig existieren. Was aber, so fragt es sich, sind die Bedingungen seiner leiblichen Existenz?!
„Man kann diese Methode Transzendentalismus zweiten Grades nennen. Wolfstädter gebraucht aber, völlig richtig, die Bezeichnung: ‚ausgeweiteter Transzendentalismus‘“.
(Bolesław Andrzejewski)
Fazit: Die Aufklärung des Sapere aude! muss zum Nudare aude! weiterentwickelt werden.
Die Methode des philosophischen Transzendentalismus ist nicht so kompliziert. Du musst dich lediglich auf sie einlassen, musst bereit sein, dich mit ihr fallenzulassen, hinabzutauchen in unerforschte Tiefen der menschlichen Existenz. Die Schwierigkeit dabei ist nicht der philosophische Transzendentalismus selbst, sondern seine unzureichende Anwendung. Wir kommen nur weiter, wenn wir nicht nur halbherzig, sondern tatsächlich einmal mutig zu den Bedingungen der Möglichkeit unserer Existenz vorzudringen wagen.
Hast du den Mut, dich nicht nur deines Verstandes zu bedienen (Sapere aude!), der die Bedingung der Wirklichkeit deines Mutes ist, sondern auch den Mut, die Bedingungen deiner Möglichkeit in den Blick zu nehmen, das, worauf die Wirklichkeit deines Mutes gründet? Dieser Mut begründet die neue Ethik: Nudare aude!